25 Jahre nach der Straßenschlacht um eine New Yorker Schwulenbar existieren nur noch wolkige Erinnerungen an todesmutige Homosexuelle. Heute läuft selbst die Parade nicht ohne Sponsoring. Zwei Veteranen erinnern sich. Aus New York Klaus Lucas

Stonewall Inn – war da was?

„Stonewall was a riot!“ – „Stonewall war ein Aufruhr!“ Die eilig hingekritzelten, kleinen und recht billig hergestellten Plakate ganz im Stil der frühen Jahre finden sich überall in Downtown Manhattan. Die Mahnung ist berechtigt, denn die Trivialisierung der Revolte könnte dazu führen, daß in noch mal 25 Jahren das Opus die Wallfahrten zur Christopher Street organisiert.

Letzten Monat veröffentlichte das Vorbereitungskomitee von „Stonewall 25“ einen Hilferuf – weil die Unterstützung durch Sponsoren weit hinter dessen Erwartungen zurücklag. Vor allem die großen Firmen zierten sich bislang. Schon melden sich Stimmen, die die Unterzeile „Lesben, Schwule, Bisexuelle, Tunten und Transsexuelle“ für die Zurückhaltung der Konzerne verantwortlich machen.

Man könnte viel unbeschwerter Geburtstag feiern, wenn die Eltern nicht so peinlich wären ...

Unter dem Vorwand, im Stonewall Inn werde ohne Lizenz Alkohol ausgeschenkt, veranstaltete die Polizei in den frühen Morgenstunden des 28. Juni 1969 eine Razzia. Um 2 Uhr früh betraten zwei Zivilbeamte das Lokal. Als Rückendeckung waren einige Uniformierte vor der Bar postiert. Es wurden ein paar Kisten Alkohol und der Inhalt der Kasse beschlagnahmt. Wirt und Türsteher nahm man fest, und mit Ausnahme von einigen Tunten, die kurz in den Knast kamen, befahl man den übrigen Gästen, abzuhauen.

Währenddessen hatten sich die Polizisten vor der Tür durch Pöbeleien in eine mißliche Lage gebracht. Die Stimmung war angeheizt. Als die zwei Zivis mit ihren Gefangenen auf die Straße traten, wurden sie mit Pennies, vollen Bierdosen und Pflastersteinen beworfen. Schutzsuchend und ziemlich ängstlich zogen sie sich in die Bar zurück und forderten per Funk Verstärkung an.

Einige der Demonstranten waren offenbar so in Rage, daß sie nicht davor zurückschreckten, das Stonewall Inn in Brand zu stecken. Verstärkung aus den umliegenden Polizeirevieren konnte dies verhindern. Für einen Moment schien sich die Lage zu beruhigen.

Doch nachdem eine Einheit der Tactical Police Force (New Yorks „Anti-Aufruhr-Brigade“) auftauchte, begannen die Straßenkämpfe aufs neue. Sie sollten mehrere Stunden andauern.

Im Sommer 1994 treffe ich einen Augenzeugen, den damaligen Sprecher der New Yorker Mattachine Society, Dick Leitsch. (Mattachine Society war die erste Organisation von Schwulen, gegründet in den vierziger Jahren; Anm. d. Red.)

„Die Sache mit der Alkohollizenz war Blödsinn“, berichtet Leitsch, „die Polizei wußte seit zwei Jahren, daß im Stonewall Alkohol ausgeschenkt wurde. Viele Lokale hatten damals keine Lizenz. Die zuständige Genehmigungsbehörde versuchte mit allerlei Tricks und Auflagen, Schwulenlokalen die Lizenz zu verweigern. So durften gleichgeschlechtliche Paare in lizenzierten Lokalen nicht gemeinsam tanzen. Im Januar 1968 hatte Mattachine in einem Gerichtsverfahren die Aufhebung dieser Vorschrift erreicht. Danach durfte getanzt werden – auch eng. Doch außer diesen Gängelungen gab es noch einen anderen Grund, keine Lizenz zu beantragen: Wer keine Lizenz hatte, unterlag auch keiner Sperrstunde.

Manche glaubten, daß der neue Leiter eines Polizeireviers sich mit der Razzia seine Sporen verdienen wollte. Bei Mattachine hatten wir damals einen anderen Verdacht. Wir glaubten, Ed Koch stecke dahinter. Damals war Koch noch Stadtrat, und es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß er Polizeiaktionen genutzt hätte, um Stimmung gegen Schwule zu machen.“

Der Ed Koch, der später als New Yorks Bürgermeister so gerne in der Stonewall Parade mitmarschierte? „Ja, genau der.“

Fast zwei Stunden berichtet Leitsch von den Ereignissen rund um Stonewall. Damals bezeichnete er den Aufstand als „Die Haarnadel, die zu Boden fiel und die Welt erschütterte.“ Mittlerweile ist er sich nicht mehr so sicher. Leitsch ist der Vertreter einer Übergangszeit, seine großen Kämpfe hat er vor Stonewall ausgefochten. Schon Jahre vor dem Aufstand in der Christopher Street trat er als Schwuler öffentlich für die Rechte von Homosexuellen ein.

Jeremiah Newton war 1969 gerade 20 geworden. heute leitet Newton an der New York University ein Verbindungsbüro, das jungen Filmemachern hilft, erste Kontakte zu Studios und Produzenten herzustellen. Er hatte erst am Samstag von dem Aufruhr im Village erfahren, doch in den folgenden Nächten war er mit dabei. Von ihm möchte ich erfahren, wer sich sonst noch an dem Aufstand beteiligte, denn es gab immer wieder Versuche, die Rolle der einen oder anderen Gruppe herunterzuspielen.

Newton: „Ich glaube nicht, daß in der ersten Nacht Lesben dabei waren“, beginnt Jeremiah seine Schilderung, „der Aufstand ging ja vom Stonewall Inn aus, und da trafen sich nur selten Lesben, an Wochenenden waren die meist im „Cookies“ in der 14. Straße. Das Stonewall war mehr ein Ort, wo junge Schwule, so um die 20, hingingen, um zu tanzen. Ich weiß auch nicht, wer das mit der Lederbar aufgebracht hat, die Lederleute hatten ihre eigenen Lokale. Und auch Tunten waren nicht immer gern gesehen. Erst nach zwei Uhr mischte sich das Publikum, wenn für die Bars, die Alkohol ausschenken durften, Sperrstunde war.“

Wie war das mit den Tunten? Der vor kurzem verstorbene schwule Journalist Randy Shilts hatte ihre Rolle einmal so beschrieben: „Diese puertoricanischen Tunten, die Stonewall auslösten, hatten zuvor nicht Marcuse gelesen, um die Implikationen ihres Tuns zu begreifen.“ War die Tunte also lediglich Objekt der Rebellion, oder durfte sie auch Subjekt sein?

Für Jeremiah Newton besteht kein Zweifel: „Natürlich spielten die Tunten eine herausragende Rolle während des Aufruhrs. Ihr ganzes Leben war doch ein Skandal! Was konnten sie verlieren?“

„Eine andere Gruppe, die nichts zu verlieren hatte“, berichtet Newton, „waren obdachlose Schwule. Jugendliche, die zu Hause rausflogen, bevor die Nachbarn hätten merken können, daß mit ihnen etwas nicht stimmt. Damals gab es bestimmt einige hundert Jugendliche mit einer solchen Geschichte. Sie trafen sich im Sheridan Square, gegenüber vom Stonewall Inn. Meistens wurden sie nicht beachtet. Rob Kohler, der einen Laden auf der Christopher Street hatte, war, glaube ich, der einzige, der sich wirklich um diese Jungs bemühte. Aber ohne die Wut, die sich angesammelt hatte, wäre diese Razzia im Stonewall Inn vielleicht ausgegangen, wie alle anderen Razzien zuvor.“

Und was hält Jeremiah Newton, der Aktivisten-Veteran, von „Stonewall 25“? Verbindet er Hoffnungen mit diesem Jubiläum?

„Ich weiß nicht, es ist doch mittlerweile alles sehr stark kommerzialisiert. Die ersten Paraden waren ganz ohne Beteiligung von Bars. Viele Bars wurden noch von der Mafia kontrolliert, und wir wollten damit nichts zu tun haben. Dann mischte sich die „Gay Activist Alliance“ ein, und die Bars hatten ihre Festwagen. So ging es immer mehr in Richtung Kommerz. Regenbogenbanner, Liza Minelli, da 'ne Party, dort 'ne Party.

Und dabei gibt es Leute in dieser Stadt, die Aids haben und nicht wissen, wie sie ihre Stromrechnung oder das Telefon bezahlen sollen. Ich bin jetzt 45, und von meinen engsten Freunden lebt kaum noch einer. Wenn bei dieser ganzen Jubiläumssache etwas für Menschen mit Aids rausspringt, das würde ich mir wünschen.“