Aus dem Untergrund von Marrakesch

■ „Aisha Kandisha's Jarring Effects“ spielten im Schlachthof

Eigentlich gibt es ja zwei ganz verschiedene „Weltmusiken“: die traditionellen, neu entdeckten und vermarkteten Musikstile aus aller Welt und andererseits die international „herrschenden“ Musikformen wie Rock, Reggae oder Hip-Hop, die in aller Welt gehört werden. Wenn beide Musiken vermischt werden, entstehen neben vielen gräßlich kommerziellen Zwittern auch einige sehr abenteuerliche, wilde Mutationen. Die marokkanische Band „Aisha Kandisha's Jarring Effects“ zum Beispiel macht solch ein brodelndes Hexengebräu aus Berbergesängen, Dub-Reggae, traditionellen Hochzeitstänzen und den Dance-Rhythmen des HipHop.

Die sechs Musiker der Band spielten in nordafrikanischen Gewändern vor nur etwa 180 Zuhörern – einen ungünstigeren Termin als den Eröffnungstag der Fußball- WM gibt es wohl kaum –, aber von den ersten Minuten an wurde so ausgelassen vor der Bühne getanzt, daß die Konzertatmosphäre höchstens für den Veranstalter deprimierend war.

Viele TeilnehmerInnen an Kursen für orientalische Tänze schienen sich hier zu treffen und ihre Bauchschwünge oder erotischen Armdrehungen zogen manchmal mehr Blicke auf sich als das Geschehen auf der Bühne. Die Musik der „knarrenden Wirkungen einer maghrebinischen Nymphe“(so in etwa die Bedeutung des Bandnamens) verführte aber auch wirklich zum Tanzen, und die Sprünge zwischen den Stilen und Rhythmen waren zwar oft halsbrecherisch, aber immer so, daß die TänzerInnen nicht einen Takt lang hängen gelassen wurden.

Nur ein Drummer fehlte leider – ein Perkussionist verzierte zwar auf seiner Handtrommel den Beat des Drumcomputers, aber denoch klang die Band live etwas statischer und zahmer als auf den Studioaufnahmen. Die vielen Samples wurden dagegen mit wahrer Virtuosität dem Livesound beigemischt. Chorgesänge, Gitarrensoli, die Klänge von traditionellen marokkanischen Instrumenten ließen die Musik immer neue Haken schlagen. In diesem Konzert konnte man unmöglich vorhersagen, was in der nächsten Sekunde zu hören sein würde.

Die Musiker selber wurden aber durch die Technik nicht in die zweite Reihe gedrängt. Der Sänger setzte mit seinen orientalischen Koloraturen immer wieder einen starken Gegenpol zu den Soundeffekten, der Geiger spielte einige verwegen schöne Solopassagen, und der rockige Rhythmusgitarrist entpuppte sich auch als temperamentvoller Tänzer. In den stürmisch erklatschten Zugaben zeigte die Band dann mit einigen ekstatischen Tanzgesängen, die nur durch einfaches Händeklatschen begleitet wurden, daß sie auch ohne Computer mitreißende Musik machen können.

Willy Taub