In den Bezirken wird die Privatisierung zur Praxis

■ Bäder, Gewerbehöfe und Verwaltungsämter sollen an Private übertragen werden

„Jeder Schwache hat Interesse an einem starken Staat“, lautet die Kurzformel des Reinickendorfer Bezirksbürgermeisters Detlef Dzembritzki, wenn er auf die Arbeit kommunaler Einrichtungen zu sprechen kommt. Mit einer gehörigen Portion Skepsis begleitet der Sozialdemokrat die beabsichtigte Privatisierung der 72 Frei- und Hallenbäder. Zusammen kosten sie das Land jährlich rund 150 Millionen Mark. Durch die Herausnahme aus der bezirklichen Verantwortung will der Senat künftig rund 30 Millionen Mark einsparen.

Einen Spagat zwischen dem parteieigenen Anspruch, möglichst vieles aus der Gemeinwirtschaft zu entlassen, zugleich aber die sozialen Kosten nicht über Gebühr zu strapazieren, unternehmen dabei die CDU-Kommunalvertreter. „Wir müssen einerseits darauf achten, daß der Besuch eines Bades auch weiterhin erschwinglich bleibt. Andererseits haben wir die Kosten-Nutzen-Relation stärker im Bewußtsein der Bürger zu verankern“, meint der Neuköllner Bezirksbürgermeister Hans-Dieter Mey. Der Bezirk will daher die vier Bäder ab 1. Januar 1995 auf einen geplanten Landesträger übertragen.

Um das Privatisierungsprojekt landesweit voranzubringen, wurde letzte Woche von Sportsenator Jürgen Klemann (CDU) ein Lenkungsausschuß eingerichtet. Ihm gehören auch drei Bezirks-Stadträte an. Welches Modell am Ende vorgelegt wird, ist offen. Die beauftragte Consulting-Firma Bossard soll zusammen mit den Sport- Stadträten nun untersuchen, ob eine landeseigene GmbH oder bezirkliche Eigenbetriebe zur Kosteneinsparung beitragen können. Der Zeitplan ist denkbar eng. Bereits Ende November soll das Abgeordnetenhaus über die Zukunft der Bäder entscheiden, ab 1. Januar könnte dann die neue Rechtsform in Kraft treten. Der Verkauf an private Investoren, so versicherte Klemann, käme „kaum“ in Frage. Weiterhin sollten die Bäder kostenlos Vereinen, Schulen und Kitas zur Verfügung stehen, zudem „sozialverträgliche“ Eintrittspreise erhalten bleiben.

Die Einrichtung kommunaler GmbHs ist für den Kreuzberger Bürgermeister Peter Strieder (SPD) ein denkbar schlechtes Modell. GmbHs müßten nicht nur Mehrwert- und Umsatzsteuer zahlen, auch der neu zu schaffende Posten eines Geschäftsführers sei gegenüber einer gleichwertigen Stelle im öffentlichen Dienst weitaus kostenintensiver. Strieders Lieblingsvariante ist die Umwandlung der Bäderämter in sogenannte Wirtschaftseinheiten. Das sichere ihnen einen größeren Bewegungsspielraum und zugleich den kommunalen Einfluß. Die Wirtschaftseinheiten erhielten aus dem Bezirkshaushalt eine bestimmte Summe zur eigenverantwortlichen Kostenrechnung. „Wie sie damit umgehen, ist dann ihre Entscheidung“, so Strieder.

Ohnehin sind die Bezirke angesichts des Doppelhaushaltes 1995/96, bei dem sie erstmals durch die Zuweisung von Globalsummen über ihre Mittel entscheiden, in der Pflicht. Der Senat hat ihnen eine höchst umstrittene Sparquote auferlegt: Im nächsten Jahr sollen sie fünfzig, 1996 sogar sechzig Prozent der Kosten abbauen. Neben der Verlagerung von Einrichtungen – so geht die Neuköllner Grundstücksverwaltung der Abteilung Sozialwesen auf das Verwaltungsamt über – sind Privatisierungen unausweichlich. Dafür nur einige Beispiele: Kreuzberg wird das Grundstücksamt an einen professionellen Verwalter übertragen. Neukölln plant, diverse städtische Leistungen auf Friedhöfen an Privatfirmen abzugeben. Selbst innerstädtische Produktions- und Arbeitsstätten, wie die Gewerbehöfe Maybachufer und Kanalstraße, stehen zur Disposition und sollen an die Gewerbesiedlungsgesellschaft oder an einen Investor abgegeben werden. Severin Weiland