Die Sparschweine des Senats

■ Serie Verwaltungsreform (letzter Teil): Nach der Vereinigung stieg die Zahl landeseigener Gesellschaften kräftig an. Angesichts der Haushaltsmisere will sich der Senat von Anteilen trennen und kommunale...

Das Land Berlin ist ein Konzern. Der Senat verfügt über Landesbeteiligungen im Wert von 3,1 Milliarden Mark an Banken, Wohnungsbaugesellschaften, Energieunternehmen und Firmen aller Art. Seit dem Zusammenbruch der DDR im Jahre 1989 nahm die Zahl der Staatsfirmen sogar um 40 Prozent zu – auch unter der Regierungsverantwortung von CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen und im Gegensatz zur Privatwirtschafts-Ideologie seiner Partei.

Angesichts der im Landeshaushalt klaffenden Finanzlöcher allerdings sollen jetzt Beteiligungen verstärkt verkauft werden. „Wir überprüfen alles“, kündigt Klaus- Hubert Fugger, Sprecher des Finanzsenators, an. Dunkle Wolken ziehen deshalb am Himmel der Großen Koalition herauf: Manches, was die CDU unter den Hammer bringen will, möchte die SPD in Staatshand behalten.

Darüber, daß sich das Land Berlin nicht zuletzt im hinzugewonnenen Ostteil der Stadt in der Form von Staatsunternehmen engagierte, gibt es wenig Unstimmigkeiten im Abgeordnetenhaus. Klaus Riebschläger, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sieht dies „als zwangsläufige Entwicklung“, und Kollege Volker Liepelt von der CDU beurteilt die Beteiligung des Landes als „aus der Situation heraus richtig“. Um den Wohnungsbestand in den östlichen Bezirken zu sichern, traten elf landeseigene Wohungsbaugesellschaften die Nachfolge der kommunalen Wohnungsverwaltung der DDR an. Weitere Firmen wurden gegründet, um die mittlerweile gescheiterte Olympiabewerbung zu organisieren, Sportstätten zu bauen oder Industrieansiedlung und Wohnungsbau voranzubringen (beispielsweise: Entwicklungsgesellschaft Adlershof, Rummelsburger Bucht).

Das in den Wirtschaftsunternehmen eingesetzte Staatskapital stieg zwischen 1989 und Ende 1991 von 2,5 auf 3,1 Milliarden Mark, wie der Beteiligungsbericht von Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) ausweist. Der tatsächliche Wert – realisierbar nur beim Verkauf – liegt freilich in der Realität wesentlich höher: „Zwei- bis dreistellige Milliardensummen“, schätzt Pressesprecher Fugger. Inklusive der 50 neuen Unternehmen ist Berlin jetzt an 177 Firmen beteiligt, in denen 34.500 Beschäftigte arbeiten – 11.000 mehr als noch im Jahr 1988.

Die Anhäufung der landeseigenen Wirtschaftsmacht ist nur die eine Seite der Medaille. Das Land Berlin deshalb als wohlhabend zu bezeichnen, wäre eine glatte Übertreibung. Ausbleibende Zahlungen der Bundesregierung und Steuerausfälle reißen riesige Löcher in die staatlichen Kassen. Für 1995 beläuft sich die Deckungslücke im Haushalt auf vier Milliarden Mark, und für die folgenden Jahre ist mit ähnlichen Fehlbeträgen zu rechnen. Da nimmt es nicht wunder, daß gestreßte HaushaltspolitikerInnen einfache Lösungen suchen, um schnelles Geld zusammenzukratzen.

Grundsätzlich besteht Einigkeit in der Koalition, daß der Verkauf von Anteilen einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten kann. Die jeweiligen Einzelfälle versprechen jedoch Ärger. Zum Beispiel beim Gasversorgungsunternehmen Gasag: Nach dem Verkauf von jeweils 11,95 Prozent aus der ehemals 100prozentigen Landesbeteiligung an die Energiekonzerne RWE und Ruhrgas kündigte Finanzsenator Pieroth vergangene Woche an, daß der Berliner Stromversorger Bewag ebenfalls 11,95 Prozent übernehmen wird. Allein der Anteilsverkauf an RWE und Ruhrgas brachte etwa eine halbe Milliarde in die staatlichen Kassen. Und die Veräußerung soll fortgesetzt werden. Finanzsprecher Fugger: „Der nächste Schritt ist angedacht.“ Welche Interessenten der Senat im Auge hat, ist noch geheime Kommandosache.

Weiteren Verkäufen widerspricht Jürgen Kriebel, Beteiligungsexperte der SPD-Fraktion. Die Schmerzgrenze sei erreicht. Kriebel befürchtet, daß die neuen Anteilseigner zu große Mitsprache erhalten und der Einfluß des Senates auf die Berliner Energiepolitik über Gebühr abnimmt.

Zum Streitpunkt entwickeln sich auch die Wohnungsbaugesellschaften. CDU-Fraktionsvorsitzender Klaus-Rüdiger Landowsky ließ unlängst einen Versuchsballon steigen: Über den Verkauf von öffentlichen Anteilen an private Interessenten müsse nachgedacht werden. „Die Reihen fest geschlossen“ hieß es da beim Koalitionspartner SPD. Bausenator Nagel wies den Vorschlag brüsk zurück, und Klaus Riebschläger assistiert: „Gerade im sozialen Wohnungsbau ist das gefährlich.“ Die privaten Teilhaber könnten auf die Idee kommen, die öffentliche Förderung im sozialen Wohnungsbau schneller als geplant zurückzuzahlen und damit die Möglichkeit erhalten, die Mieten zu erhöhen. Das meint die CDU ausschließen zu können. Solange Berlin mehr als 50 Prozent jeder Wohnungsgesellschaft gehörten, sei der Einfluß des Staates dominierend und das Entgleiten des Mietsystems nicht zu befürchten.

Die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen, die die Verminderung der Landesanteile im Wohnungsbau wie die SPD ablehnt, will vor allem dort öffentliche Beteiligungen reduzieren, wo das Land zugunsten von privaten Unternehmen tätig wird. Als Beispiel nennt Michaele Schreyer die Tourismus GmbH, die ihre Fremdenverkehrswerbung zu über 50 Prozent aus öffentlichen und nur zu einem geringeren Teil aus Mitteln privater Hoteliers finanziert. Die Werbegelder könnte die Privatwirtschaft durchaus selbst aufbringen, so Frau Schreyer.

Derweil ist allen Beteiligten klar, daß die Verkaufseinahmen, gemessen am heutigen Finanzbedarf des Haushaltes, nur Tropfen auf den heißen Stein sein können. Der Senat kann schon deshalb nicht milliardenschwere Anteile mehrerer Unternehmen auf einen Schlag versilbern, weil das die Preise verderben würde. Angesichts des Überangebotes würden die Erlöse rapide sinken. SPD-Politiker Riebschläger: „In Einzelfällen ist es sinnvoll, Anteile abzugeben, aber das strukturelle Defizit des Haushaltes läßt sich dadurch nicht ausgleichen.“

Deshalb muß an anderer Stelle angesetzt werden, etwa bei den gigantischen Personalkosten der Berliner Ämter, Behörden und Betriebe. Durch die Umwandlung von einstmals städtischen Firmen (Verkehrsbetriebe, Stadtreinigung, Häfen und Wasserbetriebe) in Anstalten Öffentlichen Rechts vergrößerte sich bereits deren Eigenverantwortlichkeit.

Den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) fällt es dadurch leichter, ihr Personal zu verringern, der Senat zahlt 1995 nur noch einen Zuschuß von einer Milliarde gegenüber 1,6 Milliarden im laufenden Jahr. Nach Ansicht von Michaele Schreyer ergab sich durch die Umwandlung gerade der Verkehrsbetriebe jedoch ein entscheidender Nachteil: Die Höhe der Fahrpreise liege jetzt nicht mehr in der Kompetenz des Abgeordnetenhauses, und der BVG-Vorstand könne über die Tarife selbst bestimmen, ohne auf umwelt- und sozialpolitische Argumente zu achten. Hannes Koch