piwik no script img

Saufen, feiern – und gewinnen

Als Houghton den Ball über Pagliuca hinweg ins Netz setzt, bebt die Ostküste – und die irischen Fans zittern um den 1:0-Erfolg gegen Italien / Rätsel: Ist der Buddhismus Schuld?  ■ Aus New York Andrea Böhm

Es mag schon sein, daß sich im Rest des Landes kaum ein Einheimischer für Fußball interessiert. Aber auf der 7. Avenue in Brooklyn haben sie geflaggt: Zweimal „Stars and Stripes“ und einmal Grün-Weiß-Rot vor Tonios italienischem Restaurant; zweimal die US-Flagge und zweimal Grün- Weiß-Orange vor Nialls irischer Kneipe, „The Carriage House“. Tonio kommt kurz vor Anpfiff noch einmal kurz bei seinen irischen Nachbarn vorbei, um Freundschaft zu geloben – egal wie das Spiel Irland-Italien ein paar Kilometer weiter im Giants-Stadion ausgeht. Wobei, bitte schön, natürlich klar ist, daß Italien gewinnt.

Nicht, daß Antonio Gaita, genannt Tonio und Inhaber des gleichnamigen Restaurants, große Stücke auf die Spieler um Trainer Arrigo Sacchi hält. „Aber Irland – das schaffen sie schon noch.“ Selbst Jackie Charlton, Brite, Protestant und Coach der irischen Nationalmannschaft, hat den irischen Fans empfohlen, sich zu entspannen und Parties zu feiern – ob nun gewonnen, verloren oder unentschieden gespielt wird. „Die Deutschen oder Italiener müssen immer gewinnen“, sagt Brian Mahoney, vor fünf Monaten aus Irland „einfach so“ in die USA emigriert. „Wir Iren müssen uns amüsieren und saufen.“

Letzteres ist erstens vorzuziehen und zweitens ein Klischee. „Aber es stimmt“, verkündet im Chor die erste Reihe an der Theke (s.a. Wahrheit Seite 20). New Yorks Iren samt 15.000 eingeflogenen Verwandten und Bekannten aus der alten Heimat haben Trainer Charlton beim Wort genommen und die kommenden Wochen in eine ununterbrochene St.-Patrick's-Day-Parade verwandelt. In irischen Nachbarschaften in der Bronx, Queens, Manhattan, Brooklyn oder New Jersey findet seit Tagen ein Straßenfest nach dem anderen mit Fußball, Guinness und irischen Musikgruppen mit solch einprägsamen Namen wie „Four To The Bar“, „More Power To Your Elbow“ oder „Cherish The Ladies“ statt. OK, wahrscheinlich wird man verlieren, aber dafür hat man die besseren Bands und die besseren Lieder.

Allen angereisten Fans an Bord der irischen Air-Lingus-Maschinen war neben Stadtplan und Tips gegen New Yorks schwüle Hitze auch folgende Strophe für die Ohren der italienischen Gegner in die Hand gegeben worden: „Avete i miglior calciatori del mondo/Ma assomigliona a Sofia Loren.“ Soll heißen: „Ihr habt zwar die besten Fußballspieler der Welt, aber sie sehen aus wie Sophia Loren.“ Fußballpoesie. Doch was niemand an diesem 18. Juni kurz vor dem Anpfiff ahnte: Der erste Teil der Strophe sollte sich als falsch erweisen.

Der irischen Mannschaft wird oft vorgehalten, daß sie in britischer Manier den Ball über die gegnerische Abwehr nach vorne drischt – in der Hoffnung, einer der I(h)ren wird ihn schon kriegen. In der 12. Minute simplifizierte Mittelfeldspieler Ray Houghton diese Strategie, indem er den Ball nicht nur über die italienische Abwehr, sondern auch über Torhüter Gianluca Paglucia hob. Das Stadion tobte, das „Carriage House“ und alle anderen irischen Kneipen an der Ostküste bebten. Bei aller Freude schlich sich nun eine Spur von ungewohnter Anstrengung in die Gesichter. Plötzlich galt es, um einen Sieg zu zittern.

Womit wir beim zweiten, dem tragischen Teil, dieses Samstags angelangt wären: New Yorks Italoamerikanern. Italienische Immigranten nehmen Fußball etwas ernster als irische Einwanderer, auf deren Insel die Sportart keine allzu große Rolle spielt. „Es liegt im Blut, es liegt im Blut“, schwört Tonio, der Fußball normalerweise über die Satellitenschüssel empfängt.

Hier gibt es kleine Einwandererligen, wo die „Brooklyn Italians“ gegen die Ukrainer oder Polen antreten. Hier veranstalteten sie eine Konfettiparade auf der 18. Avenue in Bensonhurst, dem „Little Italy“ von Brooklyn, als Italien 1982 Weltmeister wurde. In den weißen Arbeitervierteln westlich des Hudson-River in New Jersey war und ist Fußball an High Schools, Colleges und in Vereinen eine der „großen“ Sportarten. Hier sind die US-Nationalspieler Toni Meola – Sohn italienischer Einwanderer – und John Harkes großgeworden. Doch im Gegensatz zu Meola, der beinahe als Baseball- Profi bei den New York Yankees gelandet wäre, kann sich Tonio Gaita mit den etablierten amerikanischen Sportarten bis heute nicht anfreunden. „Beim Football liegen sie ständig alle aufeinander und beim Baseball mußt du alle Zeit der Welt haben, bis endlich mal was passiert.“

Nur passiert auf italienischer Seite in diesem Fußballspiel auch nicht viel. Kapitän Franco Baresi zeigt Schwächen in der Verteidigung, Roberto Baggio fällt nur durch sein Pferdeschwänzchen auf. Dabei hatte Trainer Sacchi doch versprochen, man werde hier für die Immigranten groß aufspielen, damit man in den USA Italiener nicht mehr automatisch mit der Mafia, sondern mit gutem Fußball assoziiere. Die Leute auf dem Straßenfest zu Ehren des Heiligen Franziskus von Paola in Bensonhurst hätten das begrüßt, doch jetzt herrscht hier fürs erste die Trostlosigkeit einer DDR-Bahnhofshalle.

Vielleicht lag es ja daran, daß in der italienischen Mannschaft der Einfluß der katholischen Kirche entscheidend geschwächt wurde, seit Roberto Baggio zum Buddhismus übergetreten ist. Tonio reißt die Augen auf, denn das wußte er noch nicht. „Buddhismus? Ist das nicht eine völlig andere Religion?“ Ziemlich anders. „Was sagen denn seine Eltern dazu?“ Bestätigt ist, daß Robertos Mama zwei Wünsche hat: daß ihr Sohn Weltmeister wird und wieder zum Katholizismus konvertiert. Ersteres haben nun die katholischen Iren mit ihrem protestantischen Trainer nachhaltig erschwert. Es blieb bei der 0:1-Niederlage für Italien. Die irischen Fans aus Brooklyn, der Bronx oder Dublin mußten keine italienischen Zungenbrecher üben, sondern konnten ganz befreit grölen: „Olé, Olé, Olé.“ Saufen, feiern und gewinnen ist auch nicht schlecht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen