Kritik an Lettland

■ ER gegen Staatsbürgerschaftsgesetz

Berlin (taz) – Lettland wird nicht in den Europarat (ER) aufgenommen werden, wenn die Republik ihr Staatsbürgerschaftsgesetz in der vorliegenden Form verabschiedet. Diese Position der Straßburger Organisation verdeutlichten die ständigen Botschafter der Ratsmitglieder einer Delegation des Rigaer Parlaments. Zugleich äußerte der ER aber auch Verständnis für die komplizierte ethnische Situation in Lettland. Dort stellen die Letten nur etwas mehr als die Hälfte der Einwohner.

Ebenso wie auch die KSZE bemängelten die Botschafter das „Quotenprinzip“ des Gesetzes, das am 9. Juni vom lettischen Parlament in zweiter Lesung verabschiedet worden war. Die Regelungen für Einwohner, die nicht in Lettland geboren wurden und keinen Anspruch auf ein außerordentliches Einbürgerungsverfahren haben, seien so restriktiv, daß es für sie unmöglich abzusehen sei, wann sie eine Chance auf Erlangen der Staatsbürgerschaft hätten.

Obwohl die im Parlament vertretenen Gruppierungen betont hatten, daß die verabschiedete Fassung die einzig politisch annehmbare Lösung sei, soll nach der Kritik der europäischen Institutionen der Termin der für den 22. Juni geplanten dritten Lesung nun doch verschoben werden. Zwar könnte der ER frühestens im Oktober über einen Beitritt Lettlands entscheiden, doch allzu viel Zeit für neue Beratungen will sich Riga nicht nehmen. Befürchtet wird, daß nach der für Januar 1995 vorgesehenen Aufnahme Rußlands der Beitritt noch schwerer werden wird. Die Beratungen über die endgültige Fassung des Gesetzes werden auch durch eine geplante Unterschriftensammlung der nationalradikalen Gruppe „Für Vaterland und Freiheit“ nicht erleichtert. Sie will eine Volksabstimmung über ein noch restriktiveres Staatsbürgerschaftsgesetz durchführen. Ojars J. Rozitis