Mehr Markt bei Infrastruktur

■ Weltbank legt den Weltentwicklungsbericht 1994 vor: Fehlinvestitionen und mangelnde Instandhaltung gefährden Infrastrukturprojekte in Entwicklungsländern

Washington (taz/epd) – Lewis T. Preston betätigt sich gerne als Visionär. Seit Jahren schon weist der Weltbank-Chef auf die Bedeutung von Infrastrukturprojekten für die Länder der Dritten Welt hin – schließlich leben immer noch mehr als zwei Milliarden Menschen ohne Strom und eine Milliarden ohne sauberes Leitungswasser. Das größte Infrastrukturproblem aber, stellt die Weltbank in ihrem gestern vorgelegten Weltentwicklungsbericht 1994 fest, seien Fehlinvestitionen und eine mangelnde Instandhaltung vieler Einrichtungen. Hinzu kämen schlechtes Management und Ineffizienz in den meist monopolistischen Staatsbetrieben, die Energieversorgung, Transport und Verkehrswesen verwalten. Deren Beamte, stellen die Entwicklungsexperten fest, verfügten selten über die nötige Unabhängigkeit in Management- und Finanzfragen; chronische personelle Überbesetzung und unklare Zuständigkeitsregelungen in den Staatsbetrieben führten darüber hinaus zu Gleichgültigkeit und Verschwendung.

Die in Washington ansässige Bank, die seit 20 Jahren nicht immer unumstrittene Großprojekte wie Straßen, Staudämme, Telekommunikationssysteme und andere Infrastruktureinrichtungen in den Entwicklungsländern mitfinanziert, setzt jetzt auf mehr Marktwirtschaft: Privatisierung, Dezentralisierung und eine stärkere Kundenorientierung, so glauben die Berichterstatter, könnten die Infrastruktur verbessern helfen. Öffentlichen Versorgungs- und Dienstleistungsbetriebe sollten wie private Unternehmen organisiert werden; eine Entflechtung der Staatsbetriebe und deren Privatisierung soll die Effizienz steigern. Wo dies möglich sei, sollten die Betriebe von äußeren Zwängen, denen keine unternehmerischen Überlegungen zugrunde liegen, befreit werden. Doch helfen dürften solche neoliberalen Vorschläge wohl kaum: Wer soll eine Grundversorgung denn garantieren, wenn nicht der Staat? Schon der Mangel an billigem Wohnraum oder die Deregulierung des staatlichen Verkehrs- und Postsektors in den Industrieländern zeigt, daß Infrastrukturbereiche nicht einfach nach puren Marktprinzipien zu organisieren sind. Zudem dürften Marktpreise die privatisierten Infrastruktureinrichtungen schnell zum Luxusgut derjenigen machen, die es sich leisten können.

Freilich sind die Argumente der Weltbank nicht ganz von der Hand zu weisen. Fein säuberlich werden die Versäumnisse aufgelistet: In Afrika hätten in den vergangenen zehn Jahren 45 Milliarden US- Dollar an Straßenbaukosten eingespart werden können, wenn rechtzeitig zwölf Milliarden Dollar in die Instandhaltung investiert worden wären. Die Eisenbahnen in den Entwicklungsländern seien aufgrund defekter Lokomotiven durchschnittlich nur zu 70 Prozent fahrtüchtig; in Kolumbien etwa stünden deswegen sogar 65 Prozent der Züge still. Bei der Wasserversorgung gelangten im Schnitt nur 70 Prozent der verfügbaren Menge zum Verbraucher, der Rest gehe durch schadhafte Anlagen verloren; ähnliche Verluste gibt es bei der Stromversorgung.

Die Bedeutung von Infrastruktur-Investitionen für das wirtschaftliche Wachstum der Entwicklungsländer sei in der Vergangenheit allerdings überschätzt worden, heißt es im Weltentwicklungsbericht selbstkritisch. Bei Planung und Unterhalt von Infrastruktureinrichtungen müßte die Bevölkerung nach Auffassung der Weltbank wesentlich stärker beteiligt werden. Fehlt nur noch, daß die Weltbank künftig ihre Kreditvergabe auch daran bemißt. es