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Kein Spargel ohne Polens Hilfe?

■ SpargelanbauerInnen fürchten um die nächste Ernte: statt AusländerInnen sollen sie deutsche Arbeitslose zur Ernte einstellen

Nienburg „Ohne die Polen bleibt uns nächstes Jahr der Spargel im Boden stecken.“ Dietrich Paul aus Hoyerhagen bei Nienburg spricht aus, was sich in den Köpfen vieler LandwirtInnen derzeit zum Schreckgespenst entwickelt. Für den Vorsitzenden der „Vereinigung der Spargelanbauer in Niedersachsen“ herrscht trotz ergiebiger Ernte des Edelgemüses während der vergangenen Wochen keineswegs eitel Sonnenschein. Die von der Bundesregierung geplante Neuregelung des Arbeitsförderungsgesetzes, mit der künftig statt der AusländerInnen verstärkt EmpfängerInnen von Arbeitslosenhilfe zur Ernte herangezogen werden sollen, trübt die Stimmung bei den deutschen Bauern und BäuerInnen.

„Soll ich zum Spargelstechen von fünf Uhr morgens bis spät abends eine Bürokauffrau heranziehen, die das gar nicht kann oder nicht will?“ fragt Paul. Der Verdener Arbeitsamtsleiter Klaus Herzberg drückt es noch etwas drastischer aus: „Nach zwei Tagen Knochenarbeit im Spargel bricht den meisten Langzeitarbeitslosen doch der Rücken durch.“ Alle Versuche, Erntehelfer bei den Erwerbslosen der Region zu rekrutieren, seien „nicht auf nennenswerte Resonanz gestoßen“. Gerade die Landwirtschaft bleibe wohl auch künftig im hohen Maße auf gut eingearbeitete, voll motivierte Polen angewiesen.

Ähnlich skeptische Töne sind aus Frankfurt von der Zentralen Arbeitsvermittlung (ZAV) – einer Dienststelle der Bundesanstalt für Arbeit – zu hören. „Der Arbeitsmarkt wird durch die vorgesehene Neuregelung kaum entlastet“, vermutet Richard Schäfer von der ZAV-Auslandsabteilung. Strukturprobleme in der Landwirtschaft ließen sich nicht mit arbeitslosen Angestellten, älteren ArbeitnehmerInnen oder ungelernten Jugendlichen beseitigen. Insofern seien die Bonner Pläne für den Agrarsektor angesichts hoher Arbeitslosigkeit in Deutschland zwar „gut gemeint“, aber kaum praktikabel, meint Schäfer.

Laut ZAV kamen von gut 180.000 osteuropäischen SaisonarbeiterInnen, die 1993 in der Land- und der Forstwirtschaft, im Hotel- und Gaststättengewerbe, am Bau und im Schaustellergewerbe halfen, allein 140.000 aus Polen. Bei der Spargelernte waren knapp 50.000 Menschen aus dem östlichen Nachbarland im Einsatz.

Auch dieses Jahr wird beim Spargelstechen, bei der Apfel- oder bei der Beerenernte wieder vor allem polnisch gesprochen. „Wir Landwirte haben zuverlässige Helfer, den Polen bringt der Job gutes Geld und die Möglichkeit, sich in ihrer Heimat weiterzuentwickeln“, faßt Dietrich Paul die Vorteile für beide Seiten aus Sicht der Spargelanbauer zusammen. Für den Verdienst nach rund acht Wochen Spargelernte – zwischen 2.500 und 4.000 Mark – müsse mancher Pole daheim sechs bis zehn Monate arbeiten, bestätigt Teodozjusz Falenczyk, Direktor der Clearingstelle zur Arbeitskräftevermittlung in Warschau. Für das Nachbarland sei die Saisonarbeit in Deutschland von hoher Bedeutung: Der polnische Arbeitsmarkt mit derzeit fast drei Millionen Erwerbslosen werde entlastet, außerdem komme Geld ins Land, sagt Falenczyk. Die Erntearbeit gelte in Polen als so attraktiv, daß selbst ÄrztInnen und LehrerInnen für einige Wochen nach Deutschland gingen.

Mit Blick auf die für Herbst erwartete gesetzliche Neuregelung zum Ernteeinsatz hat die ZAV nun eine Schnellvermittlung polnischer Saisonarbeiter erprobt. „So stellen wir sicher, daß deutsche Bauern in drei bis fünf Tagen Ersatzarbeitskräfte erhalten, wenn die Arbeitslosen auf den Feldern wirklich wie befürchtet ausfallen“, sagt ZAV-Leiter Peter Jacobi. Spargelanbauer Paul bleibt „bei aller Bereitschaft zur Mitarbeit“ skeptisch. „Auch für die vielen Polen wäre es unzumutbar, auf Abruf bereitzustehen, ohne zu wissen, ob man sie überhaupt braucht“, wendet er ein. „Die Bonner Pläne sind am grünen Tisch entstanden. Wenn wir aber nächstes Jahr nicht vernünftig planen können, geht uns ganz konkret die Ernte kaputt.“ Werner Herpell/dpa

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