SPD in akuten Kita-Sorgen

■ Braucht Bremen mehr Kindertagesstätten? Eine Prognose für 2005

In knapp anderthalb Jahren schon wird jedes Kind zwischen drei und sechs Jahren einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz haben – so steht es in dem Gesetzespaket, mit dem die Bonner CDU ihren restriktiven 218 als „Schwangeren- und Familienhilfsgesetz“ verkauft und durchgesetzt hat. Alle Kommunen haben bei der Umsetzung des Gesetzes Probleme, Bremens Jugendresssort kalkuliert für 1996 mit 7 Millionen Mark mehr allein an laufenden Kosten, als heute für die Kinderbetreuung eingeplant sind.

Aber daran geht trotz der Haushaltsnotlage Bremens kein Weg vorbei, sagt die Jugendsenatorin. Denn allein für die Kerngruppe der 3- bis 6jährigen fehlen offiziell 1.000 Plätze. Eigentlich sind mindestens 2.500 Plätze zu wenig da – soviele Absagen werden in diesen Wochen geschrieben. Noch rechnet die Jugendsenatorin aber kirchliche Spielkreise, die zweimal wöchentlich stattfinden, als „Betreuungsplätze“ des staatlichen Kita-Versprechens mit. Ob das die Gerichte auch so sehen, wenn 1996 die ersten Eltern klagen, darf man bezweifeln.

Daß es in dieser Lage nicht als selbstverständlich und zwingend gilt, daß mindestens 500 Kita-Plätze möglichst schnell geschaffen werden müssen, hat einen schlichten Grund: Ab 1996, glauben die StatistikerInnen, werden die Zahlen der 3- bis 6jährigen rückläufig sein. 1994 gibt es 15.677 Kinder zwischen 3 und 6 Jahren bei 12.967 Plätzen, 1996 wird es 15.671 Kinder geben – ab er schon 1997 wird die Zahl der Geburten die der Kita-Plätze nicht mehr erreichen. Für das Jahr 2005 erwarten die StatistikerInnen nur noch 10.845 Kinder im Alter zwischen 3 und 6 – nach derzeitigen Standards droht also eine „Überversorgung“ mit Kita-Plätzen.

Als nun die Jugendsenatorin aus diesen Statistiken nicht die Konsequenz zog, das Kindergartenplätze-Ausbauprogramm zu stoppen, setzten sich die BeamtInnen des Rathauses mit denen des Finanzressorts zusammen und erarbeiteten unter dem Datum vom 13. Mai 1994 selber einen Beschlußvorschlag für den Senat zum Thema Kita-Versorgung. Und der geht ganz einfach so: In jede Gruppe könnten zwei Kinder mehr gesteckt werden. Daß dann in vielen Einrichtungen die vorgeschriebene Quadratmeterzahl (2 qm pro Kind) nicht erreicht wird, war den Finanzbeamten klar.

Damit die betroffenen PädagogInnen mitmachen, sollten sie 67 Mark mehr pro Überlast-Kind kriegen. Da mit diesem Modell die Kosten für neue Kitas entfallen wären, wäre auch das erforderliche Geld da gewesen – es hätte nur „investives“ Geld zu „konsumtivem“ umgewidmet werden müssen. Das geht eigentlich nicht, aber wenn der Finanzsenator es vorschlägt, dann geht es doch, alles „ausnahmsweise“, wie der Beschlußvorschlag ausdrücklich vermerkt.

Als dieses „Überlast“-Papier auf dem Tisch lag, brauchte das Jugendressort gerade noch 14 Tage für sein Konzept „Kita-Ausbau“. Allen Spekulationen, daß der Rechtsanspruch doch noch zurückgenommen oder von den Betroffenen nicht in Anspruch genommen wird, hält die Jugendsenatorin da entgegen: „Bisher gibt es keine konkreten Initiativen für eine Modifikation des Gesetzes“. Politisch ist das Thema brisant, denn die SPD darf sich im Superwahljahr kaum leisten, den schwarzen Peter für eine Zurücknahme dieses Rechtsanspruches zu übernehmen, und sie darf auch nicht den Eindruck erwecken, sie spekuliere darauf.

Die Beschlußvorlage der Jugendsenatorin basiert dagegen auf einem schlichten logischen Gegenargument: die hohen laufenden Kosten hat das Kita-Programm nicht wegen der umbauten Räume, sondern wegen des erforderlichen Personals. Das Personal ist aber an die Zahl der zu betreuenden Kinder gebunden. Das bedeutet: Wenn die Kinderzahlen wirklich sinken sollten ab 1997, steht schlimmstenfalls ein Raum leer. Unnötige Personalkosten entstehen nicht. Das „Überlastprogramm“ ist aber auch aus einem anderen Grunde keine Lösung, sagt die Jugendsenatorin: Der Bedarf an zusätzlichen Kita-Plätzen ist nicht gleichmäßig über die Stadtteile verteilt. In Schwachhausen, Burglesum oder Huchting würde es vielleicht etwas bringen, in jede Kita-Gruppe zwei mehr zu stecken. Nicht aber in Walle, Gröpelingen, Hemelingen oder Obervieland.

Jeder Sozialdemokrat weiß, daß das die Stadtteile sind, in denen die SPD ihre besten Stimm-Ergebnisse holt. Die Unterschrift des Rathauses unter das „Überlast“-Konzept wurde also zurückgezogen; seit Anfang Juni vertritt der Bürgermeister das Ausbau-Programm der Jugendsenatorin mit.

Vollkommen überrascht war Senatorin Gärtner, als der Finanzsenator aber nicht einschwenkte, sondern sich bzw. seinem alten Überlastmodell treu blieb: Am 7. Juni legte er sein „Veto“ gegen das Kita-Ausbauprogramm ein.

Der „Neue“ im Amt des Finanzsenators, Manfred Fluß, steht nun vor einer unangenehmen Alternative: Entweder stimmt er dem Kita-Ausbauprogramm zu, ohne daß die Finanzierung geklärt ist, und führt sich damit auch bei dem eigenen Stab im Finanzressort, den er komplett von Kröning übernimmt, als „weicher“ Hüter der Finanzen ein, oder er blockiert weiterhin – und mutet der SPD eine Kita-Debatte über die gesamte Sommerzeit zu. Am 5. Juli darf er wählen. K.W.