„Erschießt mich doch!“

■ Gestern begann der Prozeß gegen den jugoslawischen Ex-General Trifunović

Belgrad (taz) – Im Frühsommer 1991 war für Vlado Trifunović die Welt noch in Ordnung. Weder drohte dem Generalmajor in Serbien eine 15jährige Gefängnisstrafe wegen Hochverrats, noch galt er in Kroatien als Kriegsverbrecher. Der 56jährige glaubte also nicht ganz zu Unrecht, als braver Offizier der jugoslawischen Volksarmee seiner verdienten Pensionierung entgegensehen zu können. Bis im Sommer 1991 ein Anruf des Generalstabs sein Schicksal besiegelte: Trifunović übernahm das Kommando der Kaserne von Varaždin – mitten im späteren „Feindesland“ Kroatien.

Kurz danach überschlugen sich die Ereignisse. Trifunovićs Einheiten verscherzten sich im slowenischen Dreitagekrieg die letzten Sympathien der Bevölkerung für „ihre“ Armee, die Krajina-Serben begannen, Barrikaden zu errichten. Rings um die 4.000 Mann in der Kaserne zogen kroatische Truppen einen immer engeren Belagerungsring. Kroatische, aber auch serbische Soldaten verließen in Panik die Kaserne, Offiziere ließen sich vorzeitig pensionieren, Ganze Truppenteile lösten sich auf. Am Ende saß der General mit 200 verbliebenen Soldaten auf 65 Panzern, Minenwerfern, dem Munitionsdepot und den militärischen Objekten des weitläufigen Kasernengeländes.

Dann, am 15. September – in der Krajina und in Slawonien brannten schon die Dörfer – setzte ein tagelanges, pausenloses Bombardement ein. Blutige Verbände auf den leeren Fluren, Verletzte, Tote, ständiges Artilleriefeuer – Tag und Nacht verschickte der entnervte Trifunović Lageberichte an seine Vorgesetzten, bat um Verstärkung und um Handlungsanweisung.

Eine Antwort bekam er nie, denn in der auf den Kampf gegen einen äußeren Klassenfeind gedrillten Armeeführung herrschten Hilflosigkeit und Chaos. Den unglücklichen Kommandanten überließ man seinem Schicksal.

Trifunović gab Befehl, Dokumente und militärisches Material zu vernichten und überließ den kroatischen Belagerern die Kaserne – gegen freien Abzug und das Leben seiner Soldaten. Die Überraschung kam nach der Rückkehr nach Belgrad: Statt Erklärungen oder Anerkennung für tapferes Ausharren wurde der Offizier scharf verhört, die patriotischen Medien beschimpften ihn als Feigling, Trifunović wurde inhaftiert und als Verräter angeklagt. Zwar endete der erste Prozeß mit einem Freispruch, ebenso wie das Revisionsverfahren. Doch der Militärstaatsanwalt gab sich nicht geschlagen und legte erneut Berufung ein.

Zum Beginn des dritten Prozesses kommenierte Trifunović: „Wenn ich wirklich schuldig bin, dann erschießt mich doch!“ Er und sein Anwalt sind überzeugt, daß die Wiederaufnahme des Verfahrens von höchster Stelle inszeniert wurde. Trifunovićs Verurteilung soll die damaligen Generäle der Volksarmee nachträglich ins Recht setzen.

Dabei wird seit Monaten immer klarer, daß die wichtigsten Entscheidungsträger der politischen Führung in Belgrad Jugoslawien schon lange vor der Anerkennung Kroatiens aufgeteilt hatten – nach höchst strittigen ethnischen Grenzen. Und der sich damals noch jugoslawisch-unparteiisch gebende Generalstab, allen voran Generalstabschef Veljko Kadijević, beschloß schon im Herbst 1991, seine Kräfte hinter die Linie Virovitica– Karlobaz–Knin zurückzuziehen – die Grenze eines künftigen „großserbischen“, dritten Jugoslawiens.

Daß die Varaždiner Kaserne jenseits dieser Interessenszone lag und somit bewußt aufgegeben wurde, will in Belgrad zwei Jahre dannach natürlich niemand mehr eingestehen. Weshalb Generalmajor Vlado Trifunović am unrühmlichen Ende seiner Armeekarriere steht: Der obdachlose Offizier kann kaum einen Platz in einer der billigen Belgrader Soldatenabsteigen bezahlen, seine Frau schlägt sich als Wäscherin in Deutschland durch, und die Kinder sind nach Zagreb „ausgewandert“. Karen Thürnau