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Rücktritt oder Neuwahl in Berlin

■ SPD fordert Rücktritt des Innensenators Sein Sprecher hatte Kontakte zu Rechtsradikalen

Berlin (taz) – Die Tage von Berlins Innensenator Dieter Heckelmann scheinen gezählt. Tritt er bis Donnerstag nicht zurück, wird er sich vor dem Abgeordnetenhaus einem Mißtrauensantrag stellen müssen, der nach Lage der Dinge auch von der mitregierenden SPD unterstützt werden wird. Der Fraktions- und Parteivorsitzende der SPD, Ditmar Staffelt, forderte gestern den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) auf, Heckelmann zum Rücktritt zu bewegen. Dieser habe seine Dienstpflicht als politisch verantwortlicher Senator verletzt, weil er Hinweisen von Polizei und Verfassungsschutz über rechtsradikale Kontakte seines Sprechers Hans-Christoph Bonfert nicht nachgegangen sei. Der CDU-Senator hatte vor einem Vierteljahr Kenntnis von diesen Kontakten erhalten, außer einem „ermahnenden Gespräch“ aber keine Konsequenzen gezogen.

Nach Ansicht der SPD habe er durch sein Nichthandeln dem Ansehen der Stadt, dem gesamten Senat und dem Regierenden Bürgermeister erheblichen Schaden zugefügt. Ein Verbleib in seinem Amt wäre eine „Ermutigung für den Rechtsextremismus“. Diepgen, der auch Landesvorsitzender der CDU ist, sieht für ein Ausscheiden des Innensenators aus der Regierung „keinen Anlaß“. Der CDU-Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky bestritt, daß der Senator oder dessen Sprecher Rechtsradikalen „irgendeinen Vorschub geleistet hätten“. Die CDU stehe „uneingeschränkt“ zu Heckelmann. Mitarbeiter der Polizei hatten beobachtet, daß Heckelmanns Pressesprecher über einen längeren Zeitraum an einem monatlich in Berlin stattfindenden „Dienstags- Gespräch“ teilnahm, das von Hans-Ulrich Pieper, einem ehemaligen NPDler und Stadtratskandidaten der „Republikaner“ organisiert wurde. Zu diesen Gesprächen, an denen Rechtskonservative, Autoren der Jungen Freiheit und „Republikaner“ ebenso teilnahmen wie CDU-Politiker und namhafte Journalisten, wurden Referenten wie der FPÖ-Vorsitzende Jörg Haider oder der Bund-freier-Bürger-Chef Manfred Brunner geladen. Nach solchen Vorträgen soll sich Sprecher Hans-Christoph Bonfert, nach Beobachtung der Polizei, mit Pieper und anderen „ausgesuchten Teilnehmern zurückgezogen“ haben. Diesen Hinweisen von Polizei und Verfassungschutz war Heckelmann nicht nachgegangen. Er glaubte den Beteuerungen Bonferts, dieser habe den rechtsradikalen Hintergrund seiner Kontaktpersonen nicht gekannt. Wie die taz bereits berichtete, hat es Bonfert immerhin in der ultrakonservativen „Paneuropaunion Deutschland“ bis zum Mitglied des Bundesvorstandes gebracht. Heckelmann ist seit langem in der Großen Koalition umstritten, bereits zwei Untersuchungsausschüsse befassen sich mit seiner Amtsführung. Heute wird die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus entscheiden, ob sie am Donnerstag einen Mißtrauensantrag stellt.

Nachdem sich gestern neben Fraktions- und Parteispitze auch alle sieben SPD-Senatoren für Heckelmanns Zwangsabschied ausgesprochen haben, gilt es als sicher, daß die SPD am kommenden Donnerstag den Antrag stellen wird. Frühestens nach 48 Stunden wird dann das Parlament zur Abstimmung zusammenkommen. Die SPD verfügt mit den Oppositionsparteien PDS, Bündnis 90/ Grüne und der FDP zusammen über 140, die CDU nur über 101 Mandate. Eine getrennte Abstimmung von CDU und SPD würde einen Bruch der Koalitionsvereinbarung bedeuten. Die Koalition wäre damit ein Jahr vor Ende der Legislaturperiode beendet. Dirk Wildt

Kommentar Seite 10

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