Arbeiterrechte sichern

Gewerkschaften fordern bei ILO-Tagung Durchsetzung einer Sozialklausel für Arbeiterrechte in internationalen Handelsverträgen  ■ Von Hugh Williamson

Frankfurt (taz) – Die Funktionäre der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) feiern in diesem Monat bei ihrer Jahreskonferenz in Genf den 75. Geburtstag der UN-Unterorganisation. Aber die mehreren hundert Gewerkschaftsdelegierten sind nicht nur zum Feiern gekommen. Die Entwicklung in den letzten Monaten stimmt sie optimistisch, daß die Durchsetzung einer ihrer ältesten Forderungen, einer Sozialklausel über Arbeiterrechte in internationalen Handelsverträgen, so nahe ist wie selten zuvor. Obwohl der Punkt nicht offiziell auf der Tagesordnung steht, nehmen sie die Gelegenheit wahr, diesen Vorschlag während des einmonatigen Treffens bei den gemeinsamen Sitzungen mit Arbeitgeber- und Regierungsseite vorzutragen.

Eine Sozialklausel könnte in multilateralen Handelsverträgen wie der Welthandelsrunde Gatt Eingang finden, aber ebenso auch in bilateralen Vereinbarungen, etwa dem Allgemeinen System der Vorzugszölle (GSP), dessen sich sowohl die Vereinigten Staaten als auch die EG bedienen, um Entwicklungsländern günstigere Zollsätze zu gewähren. Wenn Länder eine solche Klausel nicht einhalten würden, hätten sie letztlich mit Sanktionen zu rechnen, zum Beispiel höheren Zöllen auf ihre Exporte.

Die Diskussionen über die mögliche Durchsetzung der Klausel sind noch nicht abgeschlossen, aber unter den Gewerkschaften hat sich ein Konsens darüber herausgebildet, wie die Klausel zu formulieren wäre, damit grundlegende Menschenrechte geschützt würden, ohne dem Protektionismus Vorschub zu leisten.

Der Internationale Bund Freier Gewerkschaften (IBFG) mit seinen 113 Millionen Mitgliedern zum Beispiel für eine entsprechende Klausel im Gatt-Abkommen den folgenden Wortlaut vorgeschlagen: „Die Mitgliedsregierungen kommen überein, Schritte einzuleiten, um die Einhaltung der Mindestarbeitsnormen sicherzustellen, die von einem von der Gatt und der ILO einzusetzenden Beratergremium spezifiziert würden und die auch Bestimmungen über Organisationsfreiheit und das Recht auf Kollektivverträge, über das Mindestalter, Diskriminierung, gleiche Entlohnung und Zwangsarbeit enthalten würden.“

Diese Mindestarbeitsnormen sind in den sieben sogenannten „Kernkonventionen“ der ILO niedergelegt. Sie gelten als Schutz für die grundlegenden „Universal“- Elemente der Menschenrechte und wurden bereits von der Mehrheit der ILO-Mitgliedsregierungen ratifiziert – wenn auch nicht notwendigerweise eingeführt. (Die Konvention über Kinderarbeit wurde von weniger Ländern ratifiziert.) Die Befürworter argumentieren, diese Normen seien für Länder auf jedem Entwicklungsniveau geeignet und würden als solche die relativen Personalkosten- Vorteile der Entwicklungsländer nicht beeinträchtigen.

Natürlich sind die Gewerkschaften gegen niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen. Doch zugleich ist ihnen auch klar, daß sich diese Motive leicht mit dem Bestreben verwechseln lassen, die Arbeitsplätze im eigenen Land zu schützen. „Die Klausel zielt nicht darauf ab, auch nur einen Arbeitsplatz in den Industrieländern zu erhalten“, beteuert Björn Grimsrud vom IBFG. In einer neueren DGB-Erklärung über „freien und fairen Welthandel“ heißt es, ein Verlust von Arbeitsplätzen „aufgrund der höheren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit anderer Länder“ sei akzeptabel, aber nicht „aufgrund unfairer und unsozialer Bedingungen“.

Die Gewerkschaften bekräftigen ihre antiprotektionistische Argumentation, indem sie detailliert aufführen, wie eine Sozialklausel in der Praxis funktionieren würde. Vor allem soll sie kein international gültiges Niveau der Mindestlöhne enthalten, womit die Kritik asiatischer Regierungen und anderer umgangen würde, wonach die Klausel die Voraussetzungen ihrer relativen Vorteile beseitigen würde.

Sanktionen gegen Länder, denen unlauterer Wettbewerb mittels niedriger Löhne und schlechter Arbeitsbedingungen vorgeworfen wird, soll es durchaus geben. Doch sollen sie nur als letzte Möglichkeit genutzt werden und durch positive Anreize ergänzt werden, sagt Thomas Klebe von der IG Metall. Gedacht wird dabei an technische Unterstützung, Zahlungen aus einem neu einzurichtenden Sozialfonds, internationale Maßnahmen zur Stabilisierung von Rohstoffpreisen, Öffnung der westlichen Märkte für Waren aus Entwicklungsländern und Schuldenerleichterung.

Gewerkschaften aus dem Süden haben sich lautstark für eine Sozialklausel eingesetzt – ein Argument gegen die Kritiker, die behaupten, nur die Gewerkschaften aus dem Norden wollten eine solche Klausel. In Asien zum Beispiel drängte die größte indische Gewerkschaft INTUC ihre Regierung, bei der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens Gatt im April in Marrakesch für die Sozialklausel einzutreten. Malaysische und srilankanische Gewerkschaften haben sich dieser Kampagne angeschlossen.

Neuere Beispiele in Richtung des Konzepts der Sozialklausel haben die Gewerkschaften überall ermutigt, obwohl sie nach wie vor hinsichtlich der gemischten Motive realistisch sind. Die Gewerkschaften verweisen auf die „Arbeitsnebenvereinbarung“ im nordamerikanischen Freihandelsvertrag (Nafta), der seit Januar in Kraft ist, als ersten begrenzten Beweis für die Möglichkeit von Sozialklauseln. Begrenzt, weil die Gewerkschaften in deutlicher Opposition zu Nafta stehen: wegen der Förderung unkontrollierter Konkurrenz und Kapitalflucht und weil sie die Nebenvereinbarung für schlecht formuliert halten.

Sie basiert auf nationalen Arbeitsgesetzen, nicht auf internationalen Mindestnormen; Sanktionen sind nur auf drei Gebieten durchsetzbar, bei Verstößen gegen die Bestimmungen über Mindestlöhne, Kinderarbeit sowie Gesundheit und Sicherheit. Und selbst dann sind die Verfahren kompliziert. Die US-amerikanische Gewerkschaft AFL-CIO stellt die Vereinbarung derzeit auf die Probe – mit einer Beschwerde gegen Sony wegen Verstößen gegen Arbeitsbestimmungen in Mexiko.

Als die USA bei der Gatt-Unterzeichnung in Marrakesch maßgeblich die Entscheidung beeinflußten, die Arbeiterrechte auf die Tagesordnung der Welthandelsorganisation – des Gatt-Nachfolgers – zu setzen, waren die Reaktionen ebenfalls gemischt. US-Offizielle äußerten sich in Marrakesch sehr vage, wie umfassend sie die Arbeiterrechte definieren wollten. Die Gewerkschaften begrüßten zwar den Schritt, stellten aber die Motive der USA nichtsdestoweniger in Frage – mit der Begründung, es ginge der US-amerikanischen Regierung dabei vorwiegend um nationale Interessen.

Darauf verweist beispielsweise der kürzliche Rückzieher der USA hinsichtlich der Menschenrechte in China bei den Verhandlungen über die Verlängerung des Meistbegünstigtenstatus. Teten Masduki von einer Arbeitsrechtsgruppe in Indonesien erklärt: „Die USA haben uns seit 1987 gedroht, sie wollten Indonesiens Meistbegünstigtenstatus beseitigen, falls sich die Arbeitsbedingungen nicht bessern. Das ist nicht eingetreten, aber der Status gilt nach wie vor. In Wirklichkeit wurde diese Drohung nur zu ökonomischen Zwecken eingesetzt, um unseren Markt für Hollywood-Filme zu öffnen, und um eine bessere Einhaltung der US-Gesetze über geistiges Eigentum durchzusetzen.“

Inzwischen hat das Europäische Parlament im Februar eine Sozialklausel für das Meistbegünstigungs-Programm der EU vorgeschlagen, das derzeit neu formuliert wird. Die europäischen Gewerkschaften bringen detaillierte Vorstellungen über den Inhalt der Klausel ein.

Dennoch bleiben die Details der Durchführung ein Problem. Denn für eine Sozialklausel in der Gatt-Vereinbarung beispielsweise verfügt die ILO zwar über die Fachkenntnis, nicht jedoch über die notwendige Durchsetzungskraft – während für Gatt das Gegenteil zutrifft. Die Gewerkschaften haben sich für eine Zusammenarbeit zwischen ILO und Gatt ausgesprochen.

Aber für internationale Institutionen ist dies weit einfacher gesagt als getan. Es ist auch noch mitnichten entschieden, wie eine Neuformulierung des Gatt-Abkommens aussehen könnte.

Trotz solch detaillierter Gespräche – über Detailthemen ist niemand sehr glücklich. Viele Regierungen, insbesondere diejenigen südlicher Länder, sind nach wie vor gegen eine Sozialklausel eingestellt, weil sie sie für protektionistisch halten.

Eine vollständig ausgearbeitete Klausel in der Gatt-Vereinbarung liegt somit noch in weiter Ferne, Dennoch könnte das Gewerkschaftstreffen in Genf, wenn es am Freitag zu Ende geht, einige Fortschritte zu feiern haben.