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„Wir müssen so schnell wie möglich zurück“

■ Der PLO-Veteran Mahmoud Abbas über den Generationswechsel bei den „Revolutionären“ und die Zukunft der Autonomieverwaltung in Gaza und Jericho

Mahmoud Abbas (Abu Masen) ist Mitglied des PLO-Exekutivkomitees und einer der Hauptarchitekten des Gaza-Jericho-Abkommens zwischen der israelischen Regierung und der PLO. Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit PLO-Chef Jassir Arafat zog er sich nach der Unterzeichnung des Abkommens am 13. September 1993 in Washington aus den weiteren Verhandlungen zurück. Er lehnte es ab, einen Posten in der palästinensischen Autonomieverwaltung zu übernehmen.

taz: Jassir Arafat hat erklärt, er werde nicht in die Autonomiegebiete reisen, solange die internationale Gemeinschaft bereits zugesagte Gelder vorenthalte. Die Spender kritisieren, die PLO habe bis heute nicht die notwendigen Institutionen geschaffen, um die Finanzen zu verwalten. Palästinenser behaupten dagegen, die Gelder würden als Druckmittel gegen sie eingesetzt. Wo liegt die Wahrheit?

Mahmoud Abbas: Die palästinensischen Autoritäten müssen so schnell wie möglich zurückkehren. Das wird der Prüfstein für die Geldgeber sein. Wenn wir im Gaza-Streifen und in Jericho sind, können wir sagen: Hier sind unsere Institutionen, nun gebt uns bitte die versprochenen Gelder. Wir werden ihnen keinen Vorwand liefern, die Gelder zu blockieren.

Die Erfahrungen der letzten Monate waren nicht ermutigend. Die Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern verzögerten sich.

Beide Seiten haben viel Zeit verschwendet. Nun müssen die palästinensischen Behörden schleunigst ihre Aufgaben übernehmen und die immensen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme in Angriff nehmen. Und wir sollten nicht vergessen, daß noch weitere Verhandlungen mit den Israelis über die Übergabe von Autoritäten und die Rückkehr von Flüchtlingen anstehen.

Warum wollen Sie sich nicht an der Autonomieverwaltung beteiligen? Sind Sie verärgert?

Daß ich bei den Verhandlungen in Oslo Erfolg hatte, bedeutet nicht, daß ich auch einen Teil der Macht in den Autonomiegebieten übernehmen muß. Für den Aufbau der palästinensischen Gebiete sind junge, qualifizierte Menschen nötig. Ich denke nicht, daß ich für ein Ministeramt geeignet bin.

Heißt das, die heute existierenden „revolutionären“ Institutionen der PLO und die darin tätigen „Revolutionäre“ sind nicht in der Lage, die kommenden Etappen zu bewältigen?

Ich bezweifle, daß sie den komplizierten Herausforderungen gewachsen sind. Um eine Schule zu gründen, eine Straße zu bauen oder einen Entwicklungsplan aufzustellen, brauchen wir Experten mit einer anderen Mentalität. Es ist für einen Revolutionär keine Schande einzugestehen, daß er keinen Staat aufbauen kann.

Teilen die anderen palästinensischen Führer diese Ansicht?

Viele meiner Kampfgefährten haben sich geweigert, sich an den neuen palästinensischen Autoritäten zu beteiligen, weil sie ähnlich denken. Und mehrere der neuen „Minister“ haben ihre Ernennung nur widerwillig akzeptiert.

Sie haben erklärt, innerhalb von zwei Jahren werde es einen palästinensischen Staat geben. Was macht sie so optimistisch?

Bis zu den Geheimgesprächen in Oslo war es für Israelis tabu, mit der PLO zu verhandeln. Für sie waren wir Terroristen. Heute gibt es rege Kontakte zwischen beiden Seiten und immer mehr Sympathie für die Idee eines palästinensischen Staates in der israelischen Gesellschaft. Für die Israelis ist das Wichtigste ihre Sicherheit. Daher wird viel von den Fähigkeiten der palästinensischen Behörden abhängen, diese zu gewährleisten. Wenn die Israelis das Gefühl haben, daß von einem palästinensischen Staat keine Gefahr für sie ausgeht, werden sie ihn auch akzeptieren.

Steht da nicht die palästinensische Opposition im Weg, besonders die islamistische Hamas?

Es gibt zwei Oppositionen. Die in Syrien stationierte „Allianz der zehn Organisationen“ und die in den besetzten Gebieten. Erstere macht viel Lärm, hat aber keinen Einfluß. Letztere ist pragmatisch. Wir haben ihnen gesagt: Warum sollen wir mit unseren eigenen Händen die Möglichkeit einer Selbstverwaltung zunichte machen? In ein paar Monaten werden wir in den Autonomiegebieten Wahlen haben. Wenn sich dabei die Mehrheit der Palästinenser gegen die Friedenskräfte und für jene entscheidet, die den bewaffneten Kampf weiterführen wollen, dann werden wir das respektieren. Interview: Khalil Abied, Tunis

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