Der "alte Mann" igelt sich ein

■ Alles wartet auf Arafat. Wenn er nicht bald die Verwaltung in Gaza und Jericho übernimmt, gerät die ganze Autonomie in Gefahr, fürchten PLO-Funktionäre. Doch Jassir Arafat will nicht zurück - jedenfalls...

Alles wartet auf Arafat. Wenn er nicht bald die Verwaltung in Gaza und Jericho übernimmt, gerät die ganze Autonomie in Gefahr, fürchten PLO-Funktionäre. Doch Jassir Arafat will nicht zurück – jedenfalls nicht ohne Geld. Und das hat er nicht.

Der „alte Mann“ igelt sich ein

Dreißig Jahre lang hat Jassir Arafat dafür gekämpft, nach Palästina ziehen zu dürfen. Jetzt sagt selbst der israelische Außenminister Schimon Peres: „Wenn er will, kann er kommen.“ Aber der PLO- Chef ziert sich. Noch vor einer Woche hieß es im PLO-Hauptquartier in Tunis zum Umzug nach Jericho: „In den nächsten Tagen“ oder „spätestens Ende des Monats“. Mittlerweile antwortet man dort mit Schulterzucken oder flüstert unter dem Siegel der Verschwiegenheit: „Vielleicht nächstes Jahr.“ Techniker weisen darauf hin, daß sie mindestens vierzehn Tage Vorbereitungszeit bräuchten, damit Arafat in Jericho über das gewohnte Kommunikationsgerät verfügen könne. Bis heute hätten sie jedoch keine Anweisung erhalten, mit ihrer Arbeit zu beginnen. „Al Cheytar“ – „Der alte Mann“, wie Arafat innerhalb der PLO genannt wird, igelt sich in Tunis ein. Interviews läßt er ablehnen: Er habe nichts zu sagen. Die berühmten „gewöhnlich gut informierten Kreise“ kolportieren Gerüchte, wonach ihr Chef nicht mit den Stars der Fußball-WM um die Gunst der Fernsehzuschauer wetteifern wolle. Andere meinen, dem mittlerweile Fünfundsechzigjährigen sei es in dem in der Jordansenke gelegenen Jericho im Sommer zu heiß.

Näher an den tatsächlichen Gründen ist da wohl die Geste eines Vertreters des PLO-Exekutivkomitees – vieldeutig reibt er Daumen und Zeigefinger aneinander: „Der alte Mann will nicht mit leeren Taschen zurückkehren.“ Nachdem am 13. September 1993 Peres und für die PLO Mahmoud Abbas (siehe Interview) in Washington das Gaza-Jericho-Abkommen unterzeichnet hatten, wurden den Palästinensern 2,5 Milliarden US-Dollar versprochen. Die Regierungen von 25 Staaten wollten die Gelder innerhalb von fünf Jahren lockermachen. Die PLO wollte mit dem Geld die Infrastruktur im Gaza- Streifen und in Jericho sanieren, die palästinensischen Polizisten bezahlen und nicht zuletzt ein ansehnliches Domizil für ihren Vorsitzenden herrichten. Doch neun Monate nach Unterzeichnung des Abkommens verfügt die PLO nur über einen Bruchteil der Mittel. „Wie kann ich ohne Geld zurückkehren? Wie soll ich eure Gehälter und Mieten bezahlen?“ soll Arafat kürzlich im Inner Circle ausgerufen haben. Probleme aber auch in Tunis: Zahlreiche PLO-Mitarbeiter haben in Erwartung des Umzugs ihre Wohnungen zum Monatsende gekündigt. Nun werden sie in Hotels aushalten müssen oder in ihren Büros nächtigen.

„Wir haben von der PLO-Führung verlangt, Institutionen einzurichten, die die Verwendung der Gelder genau kontrollieren“, berichtet ein westlicher Diplomat in Tunis. Den routinierten Scheckbuchpolitiker Arafat wurmt besonders, daß die meisten Gelder zweckgebunden vergeben werden sollen. Bisher verfügte der PLO- Chef über eine „Portokasse“, mit der sich auch größere politische Probleme bewältigen ließen.

Die nächste schlechte Nachricht kam vom „Internationalen Währungsfonds“ (IWF). Von der Institution hatte die PLO Hilfe in Höhe von achtzig Millionen US-Dollar verlangt. Eine Konferenz in Paris genehmigte vor zwei Wochen jedoch nur die Hälfte. Und in der letzten Woche tauchte eine IWF- Delegation im PLO-Hauptquartier auf und beichtete, daß nur zehn Millionen zusammengekommen seien – Arafat verlor die Contenance und weigerte sich, auch nur einen Dollar vom IWF zu akzeptieren.

Während ihr Chef im Schmollwinkel sitzt, befürchten viele PLO- Funktionäre, daß das gesamte Experiment gefährdet ist, wenn sich die Übernahme der Autonomiegebiete weiter verzögert. Einzelne PLO-Vertreter wie der „Finanzminister“ Muhammad Zuadi Naschaschibi sind bereits zu Besuch nach Jericho und in den Gaza-Streifen aufgebrochen. Andere Arafat- Vertraute überlegen, den Chef zu ignorieren und kommenden Monat ohne ihn umzuziehen. Khalil Abied, Tunis