Kaum 3 Autobahnkilometer teuer

Alles in Butter mit der Zukunft des Tacheles? Trotz eines kulanten Angebots der neuen Investorgruppe Fundus mag man es nicht so recht glauben: Senat und Oberfinanzdirektion mauern  ■ Von Ulrich Clewing

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt – von der Achterbahnfahrt der Gemütszustände können die MacherInnen des Tacheles wieder mal ein Lied singen. Einerseits scheint es so, als sei eine gütliche Einigung über den Fortbestand der inzwischen berühmten Kunstruine greifbarer denn je.

Nach Scheitern der Verhandlungen mit der schwedischen Finanzgruppe Skanska vor einem halben Jahr gibt es ja einen neuen Investor, der starkes Interesse an der Bebauung des Brachlandes rund um das Tacheles hat und potent genug ist, ein solches Vorhaben seriös zu finanzieren. Dieser Investor will das Tacheles – anders als Skanska – ohne Wenn und Aber akzeptieren: Fundus aus Köln, angeblich der größte Anleger in Berlin.

Wie erst kürzlich bekannt wurde, hat Fundus dem Senat Anfang März ein Angebot gemacht, das sich sehen lassen kann: Dem Tacheles werden fünf Jahre mietfreier Betrieb gewährt, währenddessen wird das Gebäude abschnittsweise saniert, so daß das Kunsthaus nicht – wie noch von Skanska vorgesehen – für etwa zwei Jahre komplett schließen müßte. Anschließend soll die Miete, angefangen bei fünf Mark, alle fünf Jahre um fünf Mark pro Quadratmeter steigen. Darüber hinaus ist geplant, den Künstlern die gewünschte Freifläche zwischen den Neubauten und dem Tacheles zuzugestehen, ebenso wäre der Anteil an Wohnbebauung deutlich höher als bisher.

Also alles in Butter? Das Fundus-Engagement sei „sehr positiv“ zu bewerten, der „kooperative Ansatz viel vernünftiger als bei Skanska“, meint Jochen Sandig, der im Auftrag des Tacheles-Vorstandes mit in den laufenden Gesprächen sitzt. Nur wenig verhaltener äußert sich Tacheles-Sprecherin Juliette Güthlein. Anders als der Skanska- Plan sei das Konzept von Fundus „machbar“, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Daß es in der Tacheles-Geschichte vorerst doch kein Happy- End gibt, hat verschiedene Gründe. Da mehren sich zum Beispiel die Anzeichen, daß den Betreibern allerlei Stöcke zwischen die Beine geworfen werden sollen. Bereits im März hat die Bauaufsicht, die, was völlig unüblich ist, eines schönen Morgens unangemeldet vorbeischaute, den blauen Salon sperren lassen. Damit fallen rund 1.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche weg. Oder: Seit Monaten schon liegen beim zuständigen Arbeitsamt in der Gothlindenstraße Anträge auf Verlängerung der ABM-Stellen, ohne daß die Künstler auch nur irgendeine Reaktion erfahren hätten.

Ebenfalls seit geraumer Zeit empfindlich gestört ist der Informationsfluß zwischen Senat und Tacheles. Der bei den Verhandlungen mit dem Investor federführende Bausenator hat gar seinen Mitarbeitern offenbar eine Schweigepflicht auferlegt. Von der ganzen Materie habe er „keine Ahnung“, meint Ralf Schlichting, Sprecher von Senator Nagel. Dessen persönlichem Referenten Hinz läßt sich immerhin entlocken, das Tacheles „erhalten“ zu wollen, obwohl die Situation zur Zeit „verfahren“ sei. Im übrigen aber bitte er um Verständnis, sich zu dem schwebenden Verfahren nicht weiter äußern zu können. Und Anno August Jagdfeld von Fundus hüllt sich ganz in Schweigen. Und Kultursenatssprecher Rainer Klemke gibt „sehr gute Signale für einen Vertragsabschluß“ zu.

Ganz anderer Meinung ist Helmut John von der Oberfinanzdirektion (OFD) Berlin, welche die fraglichen, größtenteils in Bundesbesitz befindlichen Grundstücke treuhänderisch verwaltet und derzeit offensichtlich auf Deubel komm raus mit maximalem Gewinn losschlagen will. Was das Tacheles angehe, so John, wisse ohnehin jeder, „daß da nichts zu retten ist“. Für die OFD jedenfalls käme eine verdeckte Subvention in Form eines Preisnachlasses nicht in Frage. Schon aus haushaltsrechtlichen Zwängen sei es unmöglich, das Grundstück „unter Wert“ abzugeben und auf dem Bundesfinanzminister zustehende Einnahmen zu verzichten. Außerdem sei Kultur Sache der Länder, nicht des Bundes.

Ganz abgesehen davon bestreitet John, überhaupt jemals ein Angebot von Fundus bekommen zu haben, weiß aber gleichzeitig „über Dritte“, daß der Investor bereit ist, für das Areal zwischen Friedrichstraße und Oranienburger Straße den Preis von 122 Millionen Mark zu zahlen. Skanska wollte in Erwartung des mittlerweile ausbleibenden Berlin- Booms noch 200 Millionen lockermachen.

Doch dabei übersieht die OFD, daß das Tacheles allein durch seine bloße Existenz für das ganze Areal eine „Barwertminderung“ produziert. Damit sind Kosten gemeint, die durch Eigenheiten des Objekts oder Auflagen in bezug auf dessen Nutzung anfallen und die entweder der Kaufinteressent oder der Verkäufer übernehmen muß. Im Falle des Tacheles gibt es verschiedene Gründe für die Barwertminderung: Da ist der Denkmalschutz, der tiefgreifende Veränderungen an der Ruine der ehemaligen Friedrichstadtpassagen verbietet. Dann hat der Koordinationsausschuß für innerstädtische Investitionen des Berliner Abgeordnetenhauses (KOAI) festgelegt, daß das Tacheles in etwaige Bebauungspläne miteinbezogen werden muß. Schließlich gibt es einen Beschluß des Kulturausschusses, das Tacheles als Kulturstandort unbedingt zu halten.

Mit anderen Worten: Das Tacheles ist auf jeden Fall ein Kostenfaktor. Das Problem ist dort seit langem bekannt und hat neben verschiedenen anderen Varianten ein Stiftungsmodell hervorgebracht. Nach diesem Modell, das die Fundus offensichtlich zu tragen bereit ist, würde die Barwertminderung, also die Kosten für die Sanierung des Hauses – die Rede ist von einem Betrag, der zwischen 25 (Güthlein) und 47 Millionen Mark (John) schwankt und den Kosten für 1,5 bzw. drei Autobahnkilometer entspricht – als Gründungskapital einer Stiftung verwendet. Aus deren Zinserträgen wären sowohl die sukzessive Sanierung des Tacheles als auch dessen weitgehende und dauerhafte Unabhängigkeit von staatlicher Unterstützung garantiert. „Skanska hatte diese Möglichkeit gar nicht kapiert, Fundus dagegen war sofort klar, wie das funktionieren könnte“, sagt Juliette Güthlein.

Der Umstand, daß die verschiedenen Behörden, allen voran die OFD, nicht auf das Stiftungsmodell eingehen wollen, bringt Güthlein auf einen anderen Gedanken: „Es geht überhaupt nicht ums Geld. Es geht um uns, um das Tacheles. Wir sind denen ein Dorn im Auge.“ Kultur ist eben nicht dasselbe wie Kultur, und Ertrag nicht gleich Ertrag. Eine Entscheidung im Fall Tacheles ist frühestens in „ein bis zwei Monaten“ (Hinz) zu erwarten. Frühestens, denn man scheint es in dieser Angelegenheit nach wie vor nicht allzu eilig zu haben. Erst letzten Montag wurde im Kulturausschuß wieder einmal eine Besprechung abgebrochen, gerade als es „spannend wurde“ (Sandig). Nun soll morgen eine Sondersitzung stattfinden – sofern die Damen und Herren Abgeordneten die Zeit dafür freimachen können. Verstreicht dieser Termin, ist erst mal Sommerpause.