Der Stil „Barbarico“

Fronkreisch, Lieebä, Modä und Glüück in einem hübschen Sommerfilm – „Fausto“ von Rémy Duchemin, mit einem hübschen Leptosomen, männerfreundschaftendeln Damenschneidern und alabasternen Körperformationen  ■ Von Anke Westphal

Romanzen berichten meist von wunderbaren Ereignissen respektive Liebesangelegenheiten. Romanzen haben heiter und leicht, liebenswürdig und zartblumig anzumuten, zumal wenn sie sich, Klischee hin oder her, in „Fronkreisch“ zutragen. „Fausto“ Barbaricos Geschichte ist nicht nur eine Romanze, sondern als Film auch ein kleiner Glücksfall. Vorhang auf für ein Märchen, welches man bei Verlassen des Kinos höchst bereitwillig, weil beschwipst vor guter Laune, fast ein bißchen für das wirkliche Leben hält.

Eine zärtliche Kamera und ein wenig Eau de Paris der swinging sechziger Jahre, junge Leute, Liebe und Mode. Sehr fotogene Zutaten. Klar, „Fausto“ hatte es, was die basics der Unterhaltung anlangt, nicht besonders schwer. Trotzdem hätte, siehe „Reich und schön“, der finsterste Schwachsinn dabei rauskommen können.

Paris 1965, man nehme das traurige Schicksal in Form eine Waisenhauses zur Kenntnis, als mildernden Umstand desselben einen grundgütigen Erzieher und einen hübschen leptosomen Jüngling mit hohen Wangenknochen sowie dunklen Augen. Das Schicksal stellt sich für Fausto praktischerweise ziemlich bald als Vergangenheit heraus. „Alles hängt von dir ab, also viel Glück“, gibt man ihm mit auf seinen Lebensweg, und dieser Spruch, daß jeder seines Glückes Schmied sei, ist erst einmal so verbreitet wie eindimensional dämlich. Aber es handelt sich hier eben um ein Märchen, und deswegen gibt es so viele wundersame Zufälle wie sich als treffend erweisende Sprüche – „quod erat demonstrandum“.

Fausto wird in eine Schneiderlehre gedrängt, nicht in irgendeine, sondern bei einem jiddischen Herrenmaßschneider, der (man ahnte es) natürlich nicht nur grundgütig ist, sondern auch am laufenden Band jiddische Schnurren absondert. Mietek Breslauer weiß, wer der schlechtestgekleidete Mann der Welt ist: der Papst, weil er sich anzieht wie eine schwangere Frau. Mietek Breslauer betreibt nebenbei gleich noch eine Schule zur Erziehung von Faustos Gefühlen. „Keine Liebe, keine Schneider“, und so weiter. Mietek Breslauer (Jean Yanne, wundervoll) repräsentiert – anders formuliert wär's falsch – das zutiefst humanistische, dabei folkloristisch-humoristische Element. Aber dieses platt Typologische verstimmt nicht, wie auch all die anderen altbekannten Typologien, Klischees und wahr werdenden Wunschträume keinesfalls verstimmen. Ein Märchen halt, als mögliches, einfaches, nur eben beständig gelingendes Leben verkleidet.

In „Fausto“ wird schwer pubertiert, schwer männergefreundschaftelt und schwer frauenverehrt. Jawohl, Sie lesen richtig, nicht nur verliebt und geliebt, sondern verehrt, und dies alles in charmantester Weise. Männerfreundschaften werden dadurch natürlich schweren Proben unterzogen. Fausto muß ganz einfach für Damen schneidern, weil allein das Maßnehmen zum erotischen Akt gerät. Alsbald lieben ihn nicht nur die Beschneiderten, denn er läßt allen (!) Damen seines Viertels Liebesbriefe zukommen. Chamoisfarbene Kuverts und getrocknete Blüten, seufz. Allenthalben sehnen sich „alabasterfarbene Körper“, „amphorengleich“. Zu Faustos Entjungferung intoniert ein Chor fröhlicher Krankenschwestern Beethovens fünfte Sinfonie. „Barbarico! Barbarico!“ Man hört eigentlich unsägliche Worte, sieht diese Blicke und staunt und lächelt und freut sich gar wie ein Kind über den ganzen Quatsch. Fausto bahnt sich mit spektakulären Gewändern aus Gras oder Kuhhautähnlichem seinen Weg zu Selbstbewußtsein, Erfolg und Liebesglück. Auf ungeplante Schwangerschaft erfolgt natürlich Liebesheirat. Fronkreisch, die Lieebä, die Mänschen und das Modä. Man will wieder an Liebe, Menschen und vielleicht sogar die Mode glauben, und das ist auch gut so. Rémy Duchemin, der mit „Fausto“ sein Debüt als Spielfilmregisseur gibt, hat vorher Werbefilme gedreht. Mag er dem Publikum getrost weiter schöne Spielfilme schenken.

Ein kleines PS: Erfolgreich wird man, indem man dreimal täglich etwas Papiergeld zu sich nimmt. Oral, versteht sich. Anke Westphal

„Fausto“, Frankreich 1993, Regie: Rémy Duchemin. Mit Jean Yanne, Ken Higelin, Florence Darel u.a.; Farbe, 81 Minuten