Pretty African Woman

Filme von der Elfenbeinküste auf den „Französischen Filmtagen“ in Tübingen: Im Spagat zwischen Komödienpep, Lehr- und Autorenfilm; Vielweiberei und Liebesdependance  ■ Von Rudi Knoche

Die Filme des Henri Duparc stellen den Kritiker vor ein unlösbares Problem: wie soll er, der „Rue Princesse“ und „Bal Poussière“ zwangsläufig mit europäischen Augen ansieht und als nette Unterhaltungsware empfindet, die Wirkung dieser Filme in Afrika abschätzen? Volle Bude wahrscheinlich und Stimmung wie beim Länderspiel. Kommt ein Film wie „Bal Poussière“ nach Deutschland, dann gibt ihm der Verleih einfühlsam den Titel „Liebe, Sex und Ananas“. Gar nicht so falsch, denkt da der Zyniker; Didi Hallervorden und Otto in Schwarz wären eine Idealbesetzung für einen Duparc-Film (bloß natürlich nix mit „Ananas“).

Nun wird „Bal Poussière“ aber (in der Originalsprache) auf den „Französischen Filmtagen“ in Tübingen gezeigt – und ein intellektuelles Publikum ist begeistert. Seltsames Phänomen. Es geht nämlich um nichts Geringeres als die Vielweiberei. „Ich werde dich mal ein bißchen durchschütteln“, sagt der Herr des Hauses vor versuchtem Vollzug zu seiner frisch Angetrauten. Er hat soeben zum sechsten Mal geheiratet – leider die Falsche, denn die junge Binta hat die Universität besucht, und bringt mit ihrem Herumgedenke alles durcheinander. Der Haushalt des Herrn Demi-Dieu („Halbgott“), des reichen Ananas-Königs von Abidjan, gerät in Schwierigkeiten: der Clan der Frauen teilt sich in zwei Gruppen, in Rebellierende, die sich moderne Kleider kaufen und barbusig am Strand herummopsen, und in eher demütige Traditionalistinnen. Binta selbst ist so frei, sexuelle Forderungen zu stellen; der Kampf der Alt-Frauen gegen die Neue wird mit so ausgefuchsten Mitteln wie versalzenem (oder verseiftem) Essen geführt.

Alles etwas schematisch also: der Pfiff des Films, so es denn einen gibt, liegt im Detail, in den pointenseligen Dialogen. Duparc zeigt auf halbvergnügliche Weise, was wir immer schon geahnt haben: daß es mit mehreren Frauen gleichzeitig eine anstrengende Sache ist.

Die Polygamie, sagt Duparc später im Interview, ist an der Côte d'Ivoire eher ein ökonomisches als ein weltanschauliches Problem, ein Relikt aus der Zeit des Nomadenlebens, das nun atavistisch in die Stadt hinübertransportiert wurde. Die Polygamie sei nicht so religiös verklärt wie im Islam, und es hänge eben vom einzelnen ab, ob er mit so vielen Menschen zusammenleben und vor allem: sie ernähren könne. Immer mehr Männer wählten deshalb den einfacheren Weg, sagt Duparc, und machten „ein zweites Büro“ auf – eine Dependance für Liebesspiele.

An der Elfenbeinküste ist die landeseigene Filmproduktion absoluter Luxus: ein Film kostet so viel wie ein Krankenhaus, und deshalb dreht man so alle zwei Jahre mal einen Streifen. Den Rest übernehmen Fernsehen und Kinos als pure Abspielstationen; das afrikanische Publikum, in der „tradition orale“, der mündlichen Überlieferung aufgewachsen, ist seit den sechziger Jahren mit einer Invasion der Bilder konfrontiert. Amerikanische und europäische, sogar ägyptische Unterhaltungsfilme überschwemmen das Land – und Henri Duparc, in Guinea geboren und in Belgrad und Paris zum Regisseur ausgebildet, stellt mir die unübertreffliche Frage: „Glauben Sie etwa, daß Godard den Afrikanern imponiert?“ Er selber sieht sich zwar in der Tradition des Autorenfilms, er schreibt alle Drehbücher und Dialoge selber. Doch nach seinem Studium hat er erst mal Lehrfilme für die Bauern gedreht – über die Baumwollernte.

Dieses instruktive Moment steckt natürlich auch in seinen Spielfilmen – es ist nur mit Komik versetzt; wenn da die Einheimischen die von der Regierung verteilten Präser als Eisbeutel benutzen, dann ist das ein schöner Witz, aber höchst belehrend gemeint: tuet um Himmels willen nichts desgleichen. „Rue Princess“, Duparcs jetzt in Frankreich anlaufender neuester Film, geht das Aids-Problem denn auch dramaturgisch etwas einfach an: vom Arzt bis zum Banker, vom Polizeichef bis zum Fabrikanten sind alle Kunden bei Josie, der fröhlichsten Nutte, die ich je im Kino gesehen habe. Und deshalb müssen am Ende auch alle einverstanden sein, daß Jean, der Sohn des reichen Sägewerkbesitzers, mit der mildtätigen Prostituierten vor den Traualtar tritt: Safer Sex in der Ehe, „Pretty Woman“ auf afrikanisch.

Die Hochzeitszeremonie ist dann inszeniert wie eine Sportveranstaltung – mit Zwischenrufen und frenetischem Beifall für jede Textzeile; da macht das Zuschauen schon Spaß. Aber wenn „Josie“ sich dann einen Bankdirektor auf den Schreibtisch setzt und durch Aufknöpfen der Bluse den Zinssatz hochtreibt, dann zeigt das nur, daß Aufklärung eben ziemlich schnell in Verblödung umschlägt. Nun ja: auch deutsche Hochschulabsolventen finden so was klasse, solange es nur aus der Dritten Welt kommt.

Das Tübinger Festival, das eigentlich nicht „französische“, sondern eher „frankophone“ Filmtage heißen müßte, hat in den letzten Jahren kontinuierlich einen Schwerpunkt Afrika aufgebaut. In diesem Jahr gab es neben Henri Duparc Filme aus dem fundamentalistisch gebeutelten Algerien (famos: „Bab El-Oued City“ von Merzak Allouache) und eine kleine Retrospektive auf die Arbeit des filmenden Ethnographen Jean Rouch. Der beschäftigt sich mit Besessenheitsritualen und Problemen der Migration und benutzt die Kamera als „Katalysator“ der zu dokumentierenden Handlung.

Gegen diese zum Teil aus den fünfziger Jahren stammenden Aufnahmen wirken Henri Duparcs stets buntgekleidete, gutgekleidete Darsteller wie die Boutiquen-Version eines vor allem mental kolonisierten Afrika. Immerhin: Am Ende kehrte Binta, die sechste Ehefrau des Ananas-Königs von Abidjan, ihrem Herrn und Meister den Rücken und tut sich wieder mit ihrem alten Liebhaber zusammen, einem Trompeter. Die Tanzenden vor der Band, der Staub, der durch ihre stampfenden Füße aufgewirbelt wird – das gab diesem „Bal Poussière“ den Titel, und dieses Bild prägt sich ein. Natürlich ist auch diese Szene ein Klischee – unsere touristische Klischeevorstellung vom tanzenden Afrika. Aus der interkulturellen Klemme kommt man einfach nicht heraus.