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Ich bin eine Asiatin

Der Kolonialismus als Vorform multikulturellen Lebens: Drehort Dritte Welt – Kulisse Vietnam  ■ Von Dorothee Wenner

Knapp hundert Jahre nach Erfindung des Kinos, wo es in Hollywood kaum mehr eine ungefilmte Seitenstraße gibt, wird die Dritte Welt als Drehort für westliche Filmproduktionen immer attraktiver. In den Städten und Landschaften des Südens lassen sich mit dem richtigen Kamerawinkel alle Facetten der Exotik entdecken, von authentischer Armut bis zum sinnenbetörenden Luxus tropischer Landschaften. Vietnam zum Beispiel hat in dieser Hinsicht einiges zu bieten. In den siebziger und achtziger Jahren entstand von „Apocalypse Now“ bis „Platoon“ eine ganze Serie amerikanischer Kriegsfilme, die allerdings nicht an Originalschauplätzen, sondern irgendwo zwischen Malaysia und den Philippinen gedreht wurde. Seit die Kommunistische Partei Vietnams 1986 ihr großes wirtschaftliches Reformprogramm beschloß, sind ausländische Investoren willkommene Gäste in Vietnam. Im Schlepptau japanischer Honda-Mopeds und von „La- vache-qui-rit“-Käse aus Frankreich kamen auch westliche Filmproduktionsfirmen ins Land. Seit einiger Zeit beschert uns das Kinoprogramm alle paar Monate einen neuen, in Vietnam gedrehten Spielfilm. „Der Liebhaber“, „Indochine“, „Die Schlacht von Dien Bien Phu“, „Der Duft der grünen Papaya“ und schließlich Oliver Stones Epos „Zwischen Himmel und Hölle“. So unterschiedlich diese Filme auch sein mögen, sie alle leben von der unverbrauchten romantischen Patina der Straßen Saigons, von den smaragdgrünen Reisfeldern und den wundersamen in den Himmel ragenden Bergen. Der Sozialismus hat sich in Vietnam als begnadeter Konservator entpuppt.

Man braucht nur hier und dort einen Plastikstuhl gegen einen Korbsessel auszutauschen, die Mopeds von der Straße zu nehmen – und fertig ist das stilechte Kolonialambiente.

Kodacolor-Ambiente

Das heutige Vietnam, auf Kodacolor gebannt, entführt die Kinozuschauer in eine echt wirkende, lang zurückliegende Traumwelt, wie sie kein Studio simulieren könnte. Diese günstigen „natürlichen“ Voraussetzungen machen Kostümbildner und Requisiteure aber keineswegs überflüssig – im Gegenteil. Beflügelt durch das Vorhandene, geraten die Ausstattungen so pompös und aufwendig wie die Inszenierungen legendärer Hollywood-Schinken aus Zeiten, als die Komparsen in Amerika noch billig und gewerkschaftsfern gemietet werden konnten. So wurde zum Beispiel der große schwarze Ozeanriese für die Schlußsequenz im „Liebhaber“ für 600.000 US-Dollar Miete aus Zypern nach Ho-Chi-Minh-Stadt gefahren und mußte außerdem noch für 190.000 US-Dollar der Buchvorlage entsprechend umgebaut werden. Der Exsoldat Pierre Schoendoerffer legte als Zeitzeuge der „Schlacht von Dien Bien Phu“ besonderen Wert auf militärische Akkuratesse bei der Rekonstruktion der Niederlage der französischen Armee: er ließ im nordwestlichen Hochland mit logistischer Beratung der Vietnamesen 119 Kilometer Gräben ausheben, 76 Kilometer Stacheldrahtzäune aufbauen und engagierte 26.000 Statisten, die nur als anonyme Masse auftreten. Keine einzige Nahaufnahme eines Vietminh erlaubte sich der Regisseur.

Die politischen Klimaveränderungen, die die Produktion großer westlicher Spielfilme im Land ermöglicht haben, führten auf der Kehrseite die vietnamesische Filmindustrie in eine schwere Krise. Getreu Lenins Losung, nach der der Film die wichtigste der Künste im Sozialismus sei, gab es bis Ende der achtziger Jahre eine kleine, aber aktive Filmszene. Besonders vietnamesische Dokumentarfilme über das Schicksal des kriegsgeplagten Landes erregten auf internationalen Festivals immer wieder Aufsehen. Kinos und Filmproduktion wurden voll staatlich subventioniert. Nach dem Krieg war zwar nicht viel, aber doch ausreichend Geld da, um eine selbständige nationale Filmkultur zu entwickeln und am Leben zu erhalten. Zudem schickten die sozialistischen Bruderländer früher ganz umsonst ihre neuesten Filmkopien in die Kinos, und so mancher vietnamesische Nachwuchsregisseur wurde in Moskau oder Ost-Berlin ausgebildet. Das alles gibt es nicht mehr: Heute regiert der Kommerz im Kino. Allenthalben stehen viertklassige Liebesfilme auf dem Programm, die in aller Regel mit miserablen Video- Beamern auf viel zu große Leinwände projiziert werden. Im vergangenen Jahr wurden in Vietnam nur neun Spielfilme auf Zelluloid gedreht, im Unterschied zu immerhin 93 Videoproduktionen. Allein wegen der traurigen Bildqualität geht außer Liebespaaren, die gerade keinen besseren Platz zum Knutschen finden, kaum jemand mehr ins Kino. Zwar sind die fürs staatliche Fernsehen produzierten Spielfilme ähnlich einschläfernd, pädagogisch und amateurmäßig – im schlechtesten Sinne des Wortes –, aber die TV-Apparate stehen stets halb draußen, in Kneipen, Geschäften oder Postbüros, und so wird das Fensehgucken zumindest noch zu einer geselligen Angelegenheit.

Wer etwas mehr Geld hat, schafft sich einen Videorecorder an. Vor allem in Süd-Vietnam müssen in den letzten zwei Jahren unendliche Mengen davon verkauft worden sein, denn Videotheken gibt es in Ho-Chi-Minh-Stadt mehr als Bäckereien. Raubkopierte Hongkong-Filme sind die begehrtesten Kassetten. Für engagierte Regisseure ist diese Situation desolat: Was anderswo im kapitalistischen Filmbusineß immer noch ein Rettungsanker für die Produktion nicht nur kommerziell orientierter Projekte ist – die Zusammenarbeit mit dem Fernsehen –, das funktioniert in Vietnam überhaupt nicht. Vietnamesische Filmemacher müssen viel Geld dafür bezahlen, wenn ihre Produktionen im Fernsehen gezeigt werden sollen. Unter diesen Umständen ist es fast ein Wunder, daß sich immer noch eine Handvoll Regisseure bemüht, unter waghalsigen finanziellen Bedingungen ambitionierte Filme zu realisieren.

Polizei, Action, Liebe

In Hanoi gibt es einen Verein professioneller Filmschaffender, der sich den Erhalt der vietnamesischen Filmkultur zum Ziel gesetzt hat. Die Vietnam Cinematography Association (VCA) gibt unter anderem eine der sechs Filmzeitschriften des Landes heraus: Dien Anh erscheint einmal monatlich mit einer Auflage von 15.000 Exemplaren. Der Präsident der VCA, der Regisseur Dang Nhat Minh, analysiert die augenblickliche Kinokrise mit einer Mischung aus Resignation und Realitätssinn. Heute, so Minh, könne es der einst so einflußreichen Zensurbehörde nicht mehr angelastet werden, wenn die vielen brisanten Probleme der Gegenwart filmisch nicht thematisiert würden. In der jetzigen wirtschaftlichen Umbruchphase hätten die meisten Regisseure ein vorrangiges Interesse daran, mit ihren Filmen möglichst viel Geld zu verdienen. Und das geht in Vietnam, genau wie bei uns, am einfachsten mit Polizei-, Action- oder Liebesfilmen. Künstlerisch oder intellektuell anspruchsvolle Filme über Vietnam und seine Geschichte zu drehen, das scheint mehr und mehr das Terrain westlicher Filmemacher zu werden. Dang Nhat Minh beobachtet diese Tendenz mit höflicher Distanz, die nur unterschwellig erahnen läßt, was es für vietnamesische Filmemacher für ein Gefühl sein muß, derzeit ganz und gar vom Goodwill irgendwelcher westli

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Goodwill irgendwelcher westlicher TV-Redakteure abhängig zu sein, während die reichen Produzenten etwa für eine hübsche Schiffskulisse mehr Geld ausgeben, als ein kompletter vietnamesischer Spielfim kosten würde. „Wir freuen uns darüber, daß so viele bekannte Filmemacher nach Vietnam kommen, um hier ihre Filme zu drehen. Wir haben viel von ihnen gelernt. Aber diese Produktionen haben uns auch schmerzhaft bewußtgemacht, wie groß die Diskrepanz zwischen der westlichen und unserer Filmtechnik ist.“ Das verdeutlicht eine simple Zahl: Die Produktion eines vietnamesischen Spielfilms kostet durchschnittlich 12 US-Dollar pro Meter, in Oliver Stones „Himmel und Hölle“ kostet die gleiche Länge fertig belichtetes Zelluloid 640 US-Dollar.

Thanh An ist einer der bekanntesten Dokumentarfilmer Vietnams, er hat in der Vergangenheit über fünfzig, zum Teil preisgekrönte Filme gedreht, darunter „Lieder neben dem Bombentrichter“. Im Unterschied zu Dang Nhat Minh, der gerade für das britische Fernsehen einen Spielfilm über Rückkehrerschicksale fertiggestellt hat, ist Tanh An derzeit arbeitslos. Von dieser Position aus fällt seine Kritik an der Welle westlicher Filme über Vietnam verständlicherweise etwas harscher aus. „Diese Filme entsprechen ganz und gar nicht der Wirklichkeit, wie wir sie erlebt und erfahren haben. Ein vietnamesischer Film über die Kolonialzeit sieht anders aus als ein französischer. Nehmen wir ,Die Schlacht von Dien Bien Phu‘: Der Regisseur, Pierre Schoendoerffer zeigt die französischen Soldaten als Opfer, als Schachfiguren der französischen Regierung. Genausowenig wie bei Oliver Stone treten in seinem Film jene Leute auf, die damals die Verantwortlichen waren.“

Schöne, weiße Parias

Opfer sind sie fast alle, die HeldInnen in den neueren Filmen über Vietnam. Das dramaturgische Grundmuster variiert Geschichten von Weißen, die von ihren eigenen Leuten bestraft oder verachtet werden, weil sie sich fern der Heimat „zuweit“ mit Vietnamesen und der fremden Kultur eingelassen haben. „Ich bin eine Asiatin“, sagt Cathérine Deneuve in „Indochine“ zu ihrer vietnamesischen Adoptivtochter. Mit solchen Filmbiographien wird der Kolonialismus nachträglich als Vorform multikultureller Lebensweisen stilisiert. So etwas läßt sich derzeit gut vermarkten und wäre vielleicht nur eine filmische Modeerscheinung. Wenn aber etwa Oliver Stone „Himmel und Hölle“ ohne größere Proteste als „einen Film aus vietnamesischer Perspektive“ präsentieren kann, dann scheint man sich im Westen allmählich darauf zu verständigen, daß die Dritte Welt als Drehort von Hollywood-Produktionen die immer weniger werdenden Filme aus der Dritten Welt eigentlich ganz überflüssig macht. Die Sache erinnert ein bißchen an vorlaute Ehemänner, die antworten, wenn ihre Frauen etwas gefragt werden.

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