piwik no script img

Es waren mal viele „grausame Dummköpfe“

■ Vor 40 Jahren kamen Flensburgs abtrünnige Sozialdemokraten wieder heim

Vor 40 Jahren endete die von der Mutterpartei SPD verstoßene „Sozialdemokratische Partei Flensburg“ (SPF). Diese Regionalpartei war ein Kind der unmittelbaren Nachkriegszeit in der damals politisch besonders schwierigen deutsch-dänischen Grenzregion. Die SPF entstand im Juli 1946, als sich Flensburger Sozialdemokraten und Gewerkschafter der schon ein Jahr zuvor von dänischgesinnten Südschleswigern erhobenen Forderung nach Neuziehung der Grenze angeschlossen hatten.

Unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs und der Nazidiktatur war im Juni 1945 in Flensburg eine an Dänemark gerichtete Petition veröffentlicht worden. Darin wurde um die Eingliederung von Südschleswig – der heutige Landesteil Schleswig, der südliche Teil des früheren Herzogtums – an Dänemark gebeten. Der Forderung schlossen sich bei einer Unterschriftensammlung, die von der britischen Militärregierung gestoppt wurde, rund 12.000 Menschen an.

Die Südschleswiger, die Deutschland nicht mehr trauten, verlangten von der dänischen Regierung, in Zusammenarbeit mit den drei Großmächten zunächst einen Selbstverwaltungsplan für das „Landgebiet bis zum Kieler Kanal bzw. der Eider“ zu erstellen, der zur Aufnahme in das dänische Reich führen sollte. Bereits am 9. Mai jedoch, kurz nach der Kapitulation Deutschlands, hatte Dänemarks Regierung unmißverständlich erklärt: „Graensen ligger fast“, – die Grenze liegt fest.

Diese eindeutige Aussage der Dänen überhörten bei der ersten Landtagswahl in Schleswig-Holstein 1947 in Südschleswig über die Hälfte der einheimischen Bevölkerung, indem sie SSV (Südschleswigscher Verein, Vorläufer des Südschleswigschen Wählerverbandes/SSW) und SPF Parteien wählten, die ihre „Weg-von-Deutschland-Zielsetzung“ offen bekannten, erläutert der Flensburger Wilhelm L. Christiansen (74). Der ehemalige SPD/SPF-Politiker schildert jetzt die Jahre 1945 bis 1954 „über die Sozialdemokratie zwischen Dänisch und Deutsch“, die innerhalb der ganzen Nachkriegs-SPD große Wellen schlug, in einem 230seitigen Buch.

Der SPD-Vorsitzender Kurt Schumacher (1895-1952) hatte die Flensburger Genossen noch als „grausame Dummköpfe“ bezeichnet. Er schloß den gesamten Kreisverein am 7. Juli 1946 aus der Partei aus, weil dieser nicht bereit war, die nationale deutsche Linie der SPD zu vertreten. „Die dänische Kultur, eine echte dänische Minderheit, erkennen wir an, die unechten Dänen nicht“, soll Schumacher damals gesagt haben.

Der Kreisverein arbeitete als SPF neben der kurz darauf neugegründeten SPD weiter. Die abgespaltene sozialdemokratische Regionalpartei, die bis zur Gründung des dänischorientierten SSW im Juni 1948 mit über 2000 Mitgliedern die größte politische Organisation war, wurde schließlich zu einer Partei zwischen mehreren Fronten. Nach achtjähriger Existenz löste sich die SPF am 25. Juni 1954 auf, ihr Wiederanschluß an die SPD wurde vollzogen.

Friedhelm Caspari, dpa

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen