Nicht auf den Stapel!

■ Protestaktion gegen das ausländerunfreundliche Staatsbürgerschafts-Recht

Ein kleiner Protestzug bewegte sich gestern nachmittag zum Bremer Innenressort: ausländische Jugendliche, die seit Jahren hier wohnen, teilweise in Bremen geboren sind, denen aber die doppelte Staatsbürgerschaft verweigert wird. Mit Kaffee und Tee wurden sie im Versammlungssaal des Innensenators empfangen. Dessen Pressesprecherin Merve Pagenhard bedankte sich, „daß Sie so zahlreich zu uns gekommen sind“, um Einbürgerungsanträge abzugeben. Und sie hoffte, „daß Sie weiter in Ihrem Umfeld dafür Werbung machen“ und daß es ein breites Echo in der Presse gibt.

Und was passiert mit den Einbürgerungsanträgen, die die ausländischen MitbürgerInnen mitbrachten? Pagenhard: „Die kommen auf den Stapel.“ Die AntragstellerInnen würden ein Schreiben bekommen, in dem ihnen mitgeteilt wird, daß ihre Einbürgerung „ein- bis zwei Jahre“ dauern könnte.

Das Interesse, trotz des großen bürokratischen Aufwandes und dieser langen Verfahrensdauer die Einbürgerung zu beantragen, steigt gerade unter den jüngeren TürkInnen. „Ich habe es satt, verarscht zu werden“, sagt Serkan E. (15), der gestern dabei war. Mit zwei Jahren ist er mit den Eltern nach Deutschland gekommen, spricht heute besser deutsch als türkisch. Er möchte einmal Sozialpädagoge werden und wählen dürfen. „Ich habe mich eingelebt, ich bleibe hier.“ Insbesondere auch wegen der größeren Berufschancen will er die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Eltern dagegen wollen, wenn sie das Rentenalter erreicht haben, in die Türkei zurück.

Wenn ein Jugendlicher die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen will, muß er vorher seine türkische Staatsangehörigkeit aufgeben. Dies setzt kulturell eine sehr hohe Schwelle, insbesondere Jugendlicher treibt es oft in den Konflikt mit ihren Eltern. Die meisten Jugendlichen wollen dieses Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft deshalb umgehen, indem sie im Nachhinein wieder die türkische Staatsbürgerschaft beantragen - der türkische Staat hat damit keine Probleme. Aber da das Abkommen über die gegenseitige Anerkennung des Militärdienstes von der Türkei nicht unterschrieben wurde, droht rein rechtlich eine doppelte Einziehung.

Um so größer wird die Schwelle der langen Bearbeitungszeit, die eine lange Rechtsunsicherheit nach sich zieht. Das Referat der Innenbehörde, das die Anträge bearbeitet, ist gerade bei September 1992 angekommen - aus jedem der darauf folgenden Monaten liegen noch 30 oder mehr Anträge unbearbeitet auf dem Stapel.

Das muß nicht so sein: In NRW oder auch in Berlin gibt es sehr viel mehr TürkInnen mit doppelter Staatsbürgerschaft und eine sehr viel kürzere Bearbeitungszeit, die motivierend wirkt.

Für die Sprecherin des Innenressorts ist die Bremer Praxis keine Abschreckungs-Schikane, sondern schlicht dem Mangel an Stellen geschuldet - drei SachbearbeiterInnen können im Monate eben nicht mehr als 30 oder 40 Anträge bearbeiten. Ärgerlich findet Merve Pagenhardt es deshalb, daß die für Ausländerbeauftragte zwar Reklame für die Einbürgerungsanträge macht, aber nicht hilft: „Die könnte auch mal zwei Stellen rüberschieben.“ K.W.