Durchs Dröhnland: Herz aus Marzipan
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Allerspätestens seit Yello und den Young Gods weiß man, daß in der Schweiz ein nicht unbeträchtliches Potential an versteckter Boshaftigkeit lauert, das sich am liebsten per synthetischer Musik seine Bahn bricht. Die Swamp Terrorists sind ebenso wie die anderen beiden Projekte ein Duo, und der Weg der Härte führt von Yello über die Gods zu den Terroristen. STR (Klänge) und Ane H. (Stimme) haben zwar erst zuletzt Industrial-Klänge und Hardcore-Samplings entdeckt, aber das dafür um so intensiver. Ein Brett, sagt der einschlägig vorbelastete Berliner, die Schwarzlicht-Intervalle brechen sich bei den Swamp Terrorists allerdings an den manchmal verqueren Breakbeats und einer stumpfen Brutalität, die der Ekstase hin und wieder nicht recht schmecken möchte. Das sind dann die Verschnaufpausen, die auf drogenumwaberten Tanzböden störend ankommen, bei Konzerten oder gar auf Platte allerdings unverzichtbar sind.
Heute, 22 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg.
Manchmal möchte man meinen, die einmal so überaus prosperierende Sixties-Szene Westberlins sei völlig ausgestorben, aber dabei sind die Protagonisten nur älter geworden. Manche werden Gehülfe der Senatsrockbeauftragten, andere machen einfach weiter, und weil das Ganze schon immer hübsch inzestiös war, lassen sich ganz klasse Provinz-Supergroups gründen. Der Stammbaum von The Groovy Cellar liest sich so: Most Wanted Men, Curlettes, Beat Godivas, Stampin' Beat, Artpress, Black Carnations (s.a. Gehülfe) and so on. Daß man da keine Überraschungen erwarten sollte, ist klar, also dudeln wieder die Farfisas (vermutlich), jingeln und jängeln die Rickenbackers (sehr vermutlich) und übt man sich in gemischtgeschlechtlichem Duettgesang (sehr wunderhübsch). Daß Sänger Olaf Schumacher selbst sein Man-out-of-Time-Dasein nicht ganz entgangen ist, zeigt immerhin ein Song wie „You Make Me Feel Younger Than I Am“. Was man von dieser Musik leider nicht behaupten kann, aber sich an glorreiche Vergangenheiten erinnern, kann doch auch sehr schön sein.
Morgen, im Bierkeller in Siegmundshof 17, Studentenwohnheim am S-Bhf. Tiergarten.
Menschen, die ein Konzert von GWAR besucht haben, erkennt man leicht an der blut- und exkrementbespritzten Kleidung – natürlich alles nicht echt. Überhaupt ist diese Band nicht von dieser Welt – behauptet sie jedenfalls. Angeblich kamen die netten Herren mal von einem fernen Planeten, blieben quasi auf „This Toilet Earth“ (LP-Titel) hängen und treiben deshalb wüst hier ihr Unwesen. Die Wirklichkeit besteht aus reichlich Pappmaché, aus Science-fiction- und Horror- Phantasien, aus Rumsauereien und aus lautem und – seien wir ehrlich – grottenschlechtem Dumpfbackendeathmetal. Unterhaltungswert kann man den Amis aber ganz bestimmt nicht absprechen. Der führte immerhin zu beachtlichen Plattenverkäufen und der Aufnahme als Charaktere in diverse Videospiele. Die Live-Auftritte werden allerdings immer spärlicher, weil die Veranstalter immer öfter die Reinigungskosten für ihre Säle scheuen.
Morgen, 21 Uhr, Huxley's Neue Welt, Hasenheide 108–114, Neukölln.
Die Helden sind älter geworden, Dave Roback gehört auch dazu. Der war der Kopf hinter Rain Parade, eine jener kalifornischen Neohippie-Bands, die in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wiederentdeckten, was kurz vorher noch unter aller Kanone gewesen war. Plötzlich durfte man wieder elegisch sein, sogar pathetisch, durfte wieder das von Opa geerbte, knielange Labberhemd tragen und sich die Haare schüchtern über die Ohren wachsen lassen. Rain Parade waren schon damals die, die sich am wenigsten an der wutdominierten Ausdrucksweise der vom Punkrock geprägten Generation orientierten, sondern eher berüchtigt für ihre breite, oftmals völlig actionlose Gitarrenarbeit, bei der die sechs Saiten gerne zwischen folkiger Sanftheit und extremer Verzerrung hängenblieben. Mit Opal entdeckte Roback dann, was ihm zum völligen Glück noch gefehlt hatte: eine Sängerin, die möglichst tonlos, aber dafür sehr sehr gefühllos überaus langweilig dahersingt. Mit Mazzy Star nun hat er die endgültige Ausformung seiner Leidenschaft für höchstmögliche Bekifftheit in möglichst wenig Musik gefunden. Im Duo zusammen mit Hope Sandoval, die Roback nun die Stimme für seine Obsession leiht, passiert endgültig gar nichts mehr. Und die absolute Reduktion bei größtem Kitschfaktor entwickelt tatsächlich eine Intensität, die an die Balladen der frühen Velvet Underground erinnert und dabei eine fast bemitleidenswerte Zerbrechlichkeit offenbart. Wer hier nicht die Äugchen schließt und die Tönchen tropfen läßt, hat wohl kein Herz aus Marzipan.
Am 26.6., 20.30 Uhr, Loft, Nollendorfplatz 5, Schöneberg.
Um die historischen Ausflüge auf eine runde Zahl zu bringen, jetzt Exkursion Nummer drei: Blood on the Saddle waren die sagenumwobene Speerspitze einer Schublade namens Cowpunk, die selbst in diesem Eintagsfliegen- Geschäft ein überraschend kurzes Dasein fristete.
Was davon in der Erinnerung geblieben ist, läßt sich schnell aufzählen: „Miami“, die zweite LP des Gun Club, und eben Blood on the Saddle. Oder wer erinnert sich noch an Rank & File? Blood on the Saddle oder Beat Rodeo? Blood on the Saddle nun kamen vor allem deshalb zu ihrem Ruf, weil sie eine personell unstete Kapelle waren, was ständige Präsenz wirkungsvoll verhinderte. Inzwischen ist es so weit, daß von der Urbesetzung nur mehr Gitarrist Greg Davis vorhanden ist. Der spielte eine ganze Zeit lang in einer Bluegrass-Band das Banjo, erkannte, daß die Geschwindigkeit fast noch schneller als bei Punkrock ist, und spielt seitdem seine E-Gitarre einfach wie ein Banjo – eben. Ein begnadeter Sänger war der Mann noch nie, ihre beste Phase hatten Blood on the Saddle denn auch, als Annette Zilinskas zeitweise das Mikrophon übernahm, was sie hätte besser bleiben lassen, wenn man bedenkt, daß sie dafür einen Job bei den Bangles sausen ließ – allerdings lange bevor die anfingen, Kohle zu scheffeln.
Daran war bei Blood on the Saddle sowieso nie zu denken: In mehr als zehn Jahren Bandgeschichte brachte man es gerade mal auf vier LPs, und die letzte, „More Blood“, enthält auch noch größtenteils altes, nur neuaufgenommenes Material. Doch die Legende lebt immerhin, auch wenn sie schon zombiemäßig krächzt. Manchmal sogar, als wären die Pogues in der Prärie gestrandet und der Rum ausgegangen.
Am 30.6., 21 Uhr, Huxley's jr. Thomas Winkler
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