Aus für Projekt „Evaluation der Lehre“

■ Verbesserung der Studiensituation fällt Rotstift zum Opfer

„Die Technische Universität hat alle Versuche abgeblockt, daraus Folgerungen zu ziehen“ – zu dieser vernichtenden Bilanz kam der Bildungssoziologe Rüdiger Preißer, nachdem er drei Jahre lang im Auftrag des Uni-Präsidenten die Studierenden zur Qualität der Lehre befragt hatte. Solange „eine hochprivilegierte Berufsgruppe, die Professoren, das Recht hat, nach ihrem Willen zu schalten und zu walten“, so Preißer, ändere sich nichts. „Das ist ein ständisches Relikt, das ist anachronistisch.“

Das mochte die TU nicht auf sich sitzen lassen, hielt sie sich doch viel darauf zugute, daß sie nach den studentischen Streiks des Wintersemesters 1988/89 „als erste Hochschule in Deutschland damit begonnen hatte, ihre Lehre einer systematischen Evaluation zu unterziehen“. Pressesprecherin Janny Glaesmer tat die Kritik als „persönliches Problem“ ab: „Der Herr Preißer hat sich in seinem Frust gegen die TU verfangen.“ Tatsächlich aber würden die Befragungen auch nach dem Auslaufen des Projekts „Evaluation der Lehre“ fortgesetzt.

Wie das funktionieren soll, erläutert Alfred Heilhecker, in der Planungsgruppe von TU-Präsident Dieter Schumann für Lehre und Studium zuständig: Einerseits sollten die Studienbüros in den Fachbereichen die Studenten zu den Lehrveranstaltungen befragen. Andererseits solle mit Fragebögen, die mit den Rückmeldeunterlagen verschickt werden, die Zufriedenheit mit dem Studium insgesamt erfaßt werden. Heilhecker mußte jedoch zugeben, daß die praktische Umsetzung „im Moment noch ein bißchen stockt“. Wegen der Sparmaßnahmen habe er Verständnis dafür, daß die Bewertung der Lehre aus Sicht der Fachbereiche an Priorität verliere.

So wurden die Studienbüros, auf die sich das Konzept stützt, erst an fünf Fachbereichen eingerichtet. Der Fachbereichsrat Chemie lehnte ein solches Büro gar mit knapper Mehrheit ab. Offizielle Begründung: „Die Schaffung neuer, gutdotierter Stellen, die vermutlich zu Dauerstellen führen werden, würde gerade jetzt ein falsches Zeichen setzen.“ Allerdings gibt es bei den Chemikern bereits eine studentische Vorlesungskritik. Daß damit nicht alle Probleme gelöst werden können, weiß auch Mario Müller, der die Fragebögen seit fünf Jahren auswertet: „Die Frage, ob Vorlesungen überhaupt geeignet sind, Wissen zu vermitteln, wurde dabei ausgeklammert.“ Auf Resonanz stoßen die Studierenden vor allem bei den Professoren, die sich schon immer um eine gute Lehre bemühten: „Am unteren Ende der Skala ändert sich nichts.“

So widersprach ausgerechnet der Mathematikprofessor Udo Simon in der Hauszeitschrift TU intern den Vorwürfen Preißers: Simon hat sich durch innovative Lehre einen Namen gemacht. Preißer habe praxisferne Bögen mit Hunderten von Fragen entwickelt und zum Teil erst Monate später ausgewertet, so daß die Ergebnisse in den laufenden Veranstaltungen nicht berücksichtigt werden konnten. Seine Schlußfolgerungen seien oberflächlich und „dilettantisch“. Als Fortschritt bewertete Simon die Begrenzung der Teilnehmerzahlen in Mathematik- Veranstaltungen „auf deutlich unter 500“. Freilich ist eine Veranstaltungskritik, deren Ergebnisse innerhalb weniger Tage vorliegen, nur eines von mehreren möglichen Evaluationsverfahren, meint Ulrich Teichler vom Wissenschaftlichen Zentrum für Berufs- und Hochschulforschung in Kassel. „So eine schnelle Gegenüberstellung ist auch nicht sinnvoll, sie führt zu den wüstesten Spekulationen der Beteiligten.“ Außerdem sei die Methode sehr aufwendig, „das kostet mehr Geld, als an der TU zur Verfügung stand“. Auch die Idee, die Befragung den Studienbüros zu überlassen, begeistert Teichler nicht: „Ich kenne keine Universität, wo eine völlige Dezentralisierung funktioniert.“

Teichler selbst hat einen Ruf auf die Professur für Hochschulforschung an der TU vor anderthalb Jahren abgelehnt, weil die Hochschule sich nicht auf einen weiteren Ausbau der Lehrevaluation und eine Übernahme der früheren DDR-Hochschulforschung in Ostberlin festlegen wollte. Sonderlich groß scheint das Interesse der TU an der Stelle nicht zu sein: Sie ist noch immer vakant.

Auch die Studienbüros selbst sind überrascht, daß sie nun zum Lückenbüßer werden. „Für eine flächendeckende Evaluation der Lehrveranstaltungen haben wir gar keine Kapazität“, sagt Bernd Fick vom Studienbüro am Fachbereich Verkehrswesen und Angewandte Mathematik. Er will daher vor allem die Rahmenbedingungen ins Visier nehmen, „empirische Sozialforschung in und um das Studium betreiben“. An Preißers Erhebungen kritisiert Fick „methodische Mängel“, nicht aber das Urteil über das „ständische Relikt“ Universität: „Hochschulpolitisch sind die Ergebnisse schon korrekt.“ Ralph Bollmann