Die Bombe hat Kusadasi verändert

Seit dem Attentat ist das Zusammenleben von Türken und Kurden in dem Badeort an der Ägäis schwer geworden  ■ Von Ömer Erzeren

Die prächtige osmanische Karawanserei, nach dem Großwesir Mehmet Pascha benannt, beherbergt heute ein Luxushotel. Tag und Nacht ziehen Touristen, uniformiert mit Shorts, T-Shirt und Strohhut an der Attraktion in der ägäischen Küstenstadt Kusadasi vorbei. Ein halbes Dutzend Schuhputzer wartet unter Sonnenschirmen am Rande der Außenmauern der Karawanserei auf Kundschaft. Juweliere, Souvenirläden, Leder- und Teppichgeschäfte sind auf der anderen Seite der gepflasterten Fußgängerpromenade. Kleine Grünzonen befinden sich in der Mitte: Palmen und sorgsam gepflegte Blumen. Hinzu kommen Sitzbänke in postmodernem Design und bunte Abfallkörbe – lila, orange, gelb und blau.

Der Terror zog am 30. Juli vergangenen Jahres in Kusadasi ein. Augenzeugen berichten, daß eine junge, sportlich gekleidete Frau etwas in den Abfallkorb warf. Kurze Zeit später detonierte die Bombe vor der Karawanserei. 18 Personen wurden leicht verletzt. Die Täter wurden nicht gefaßt. Doch zuvor hatte die Guerilla PKK („Arbeiterpartei Kurdistans“) angekündigt, daß sie Anschläge in den touristischen Zentren der Türkei verüben würde. Kusadasi geriet in die Schlagzeilen. In der jetzigen Sommersaison, so schätzen lokale Reisebüros, sind 50 Prozent der Urlauber ausgeblieben.

Kusadasi ist nicht irgendein Ferienort in der Türkei. Die Prospekte des türkischen Fremdenverkehrsamtes bezeichnen es als „eines der wichtigsten Ferienzentren“. „Kristallklares Meer, weite Strände, Sonne, Leben, Romantik und eine Fülle von Urlaubsaktivitäten erwarten den Besucher an diesem charmanten Ort.“ Kusadasi ist nur 16 Kilometer von der antiken Stadt Ephesus entfernt. Trotz des Vorfalls sind Hunderttausende ausländische Touristen gekommen. Die Einnahmen der Stadt aus dem Tourismusgeschäft dürften Schätzungen der Tourismusbehörde zufolge jährlich 300 Millionen Mark betragen.

Die Bombe hat dem Geschäft geschadet. Doch sie hat auch das Innenleben der 50.000 Einwohner zählenden Stadt verändert. Der Bürgerkrieg in Türkisch-Kurdistan, dem jährlich Tausende Menschen zum Opfer fallen, ist in Kusadasi eingezogen. Der Teppichverkäufer, aus Zentralanatolien nach Kusadasi gezogen: „Die Kurden, die in unsere Stadt kommen, sind die Ursache der Unruhe und des Terrors. Sie schmeißen Bomben und sie machen die Touristinnen an. Man muß sie rausschmeißen. Man muß diese Stadt von Kurden säubern.“

Seit Jahren wandern Kurden in die touristischen Zentren am Ägäischen Meer und am Mittelmeer ein. Armut und Bürgerkrieg haben sie vertrieben. Bereits heute leben mehr Kurden im Westen der Türkei als in Kurdistan selbst. In Städten wie Kusadasi hoffen sie auf Arbeit, Geld und eine Existenz. Rund ein Viertel der Einwohner Kusadasis sind Kurden – Bauarbeiter, Beschäftigte im Dienstleistungssektor, aber auch Geschäftsleute.

Die vier jungen Männer mit nackten Oberkörpern und in zerlumpten Hosen arbeiten und schlafen auf der Baustelle, wo künftig eine Feriensiedlung auf den Hügeln Kusadasis entstehen soll. Heute sind nur Betonkolonnen zu sehen. Ein paar Holzlatten auf dem Beton sind die Schlafstätte der Arbeiter. Strom und Wasser gibt es nicht. Die Arbeiter sind vor wenigen Monaten aus einem kurdischen Dorf in der Nähe von Kars nach Kusadasi gekommen.

„Als Kurde bist du in den Augen des Staates ein PKK-Mann. Falls du dein Recht suchst, landest du im Gefängnis“, sagt der Blondschopf. Kurz bevor er nach Kusadasi kam, wurde ein Freund von ihm im Dorf „versehentlich“ erschossen: „Er trieb eine Schafherde auf die Weideplätze. Die Soldaten haben ihn für einen Guerillero gehalten und erschossen. Hinterher legte man Waffen um seine Leiche, und das Fernsehen kam und filmte ihn.“ „PKK-Terrorist tot gefangengenommen“, hieß es in den Nachrichten.

Die billigen Arbeitskräfte aus dem Südosten werden fernab der Touristen frühmorgens in den Kaffeehäusern der Stadt gehandelt. Das Kaffeehaus Okcu ist eines von ihnen, eine Art moderner Sklavenmarkt. Bauunternehmer suchen sich hier die stärksten Männer aus. Die Konkurrenz ist groß. Seit Monaten bieten sich rumänische Arbeitsmigranten, die als Touristen eingereist sind, an. Rumänen sind billiger als Kurden. „Sie sind anspruchslos und haben keine politischen Hirngespinste im Kopf“, rühmt ein Unternehmer.

Die Kapitalisten haben kurdische Arbeitskräfte als potentielles Risiko entdeckt. „Früher gab es hier Arbeit. Doch jetzt ist es aus“, berichtet ein Maurer in dem Kaffeehaus. „Das erste, wonach du gefragt wirst: ,Bist du Kurde?‘“

Selbst Kurden, die schon seit Jahren in Kusadasi sind, spüren den Wandel. Seit sechs Jahren lebt der Kurde, der als Koch in einem Restaurant arbeitet, in Kusadasi. Jahrelang hat er vergeblich nach einer Wohnung gesucht. Doch die Mietpreise sind in einem touristischen Ort wie Kusadasi unbezahlbar. Zum Schluß baute er sich mit dem Ersparten eine Baracke auf einem Hügel und holte seine Familie aus dem kurdischen Diyarbakir. Der Bau auf dem Hügel – das Bergviertel genannt – ist wie die anderen hundert provisorischen Unterkünfte illegal. Schon mehrfach haben städtische Beamte, die begleitet von bewaffneter Gendarmerie ins Viertel kamen, versucht die Häuser abzureißen. Doch angesichts des Widerstandes konnten nur wenige Häuser abgerissen werden. „Ich weiß nicht, was passiert, wenn sie es schaffen. Ich habe nicht einmal das Geld, um die Möbel zurück in die Heimat zu bringen.“

Im „Verein für die Einheit und Solidarität der Arbeiter Kusadasis“ wird ein düsteres Bild Kusadasis gezeichnet. Der 32jährige Ismail Sinici berichtet, wie er Augenzeuge einer Razzia auf ein Kaffeehaus wurde. „Mit Maschinengewehren bewaffnet, sind die Polizisten ins Kaffeehaus eingedrungen. Willkürlich haben sie Leute mitgenommen.“

Razzien auf Kaffeehäuser, wo Kurden verkehren, gehören zum Alltag in Kusadasi. Sinici gehört nicht zu den Armen. Er hat sogar Geld gespart. Doch seine kurdische Herkunft ist immer wieder Grund für Diskriminierung. Jüngst wollte er in dem Dorf Kirazli, acht Kilometer von Kusadasi, ein Haus kaufen. Doch der Bauer erklärte: „Ich verkaufe nicht an Kurden.“ Der Fliesenleger Mehmet Kolcu ist ein sanftmütiger Mann, der es zu bescheidenem Wohlstand gebracht hat. Schon seit 17 Jahren lebt er in Kusadasi, wo sich unangenehme Erinnerungen in seinem Gedächtnis festgesetzt haben. Nach dem Militärputsch 1980 wurde er auf der Polizei gefoltert. 1982 verurteilte ihn ein Kriegsgericht zu drei Jahren Gefängnis. Er habe auf Kurdisch „Nieder mit dem Staatspräsdidenten“ gerufen, bezeugten Polizisten vor Gericht. Kolcu erinnert sich an die Jahre der Militärdiktatur, wo Polizisten prügelnd einen Mann aus der Telefonzelle zerrten. „Aber meine Mutter kann doch kein Türkisch“, rief der Verzweifelte.

Kriegsgerichte gibt es nicht mehr, auch die kurdische Sprache ist nicht mehr verboten. Doch Kolcu hat Angst. Angst vor dem Bürgerkrieg. Angst vor Pogromen. „Ein armer kurdischer Straßenhändler verkaufte vor ein paar Tagen Haartrockner. Ein paar Kunden interessierten sich für die Ware. Der Besitzer der Ladengalerie, vor dessen Schaufenster sich dies abspielte, trat hinaus und rief den Kunden zu: ,Falls ihr bei Kurden kauft, wird euer Geld als Kugel zurückkehren.‘“

Die Reiseagentur Ekol ist ein aufstrebendes Unternehmen. Junge weibliche Angestellte, die mehrere Fremdsprachen beherrschen, grüßen freundlich. Der Chef des Unternehmens, Akin Sehap, ist gleichzeitig Vorsitzender der faschistischen „Nationalistischen Aktionspartei“. Er wirft dem Staat Untätigkeit bei der „Bekämpfung des Terrors“ vor. Die Lösung hat er parat: „Unser Freiwilligenheer steht bereit. Genauso wie es im Südosten die Dorfmilizionäre gibt, die gegen die Terroristen kämpfen, sollte es auch hier Freiwillige geben. Wir können die Einfahrten und Ausfahrten Kusadasis besetzen und Verdächtige kontrollieren.“ Ohne Umschweife gesteht Sehap ein, daß er eine bewaffnete Bürgerkriegsarmee gründen will: „Die Polizei hat Angst vor den bewaffneten Kurden.“

Im vergangenen Oktober sind die Grauen Wölfe auf die Straße gegangen. Ein Wehrpflichtiger aus Kusadasi war bei Kämpfen gegen die PKK im Südosten getötet worden. Seine Beerdigung wurde zur Machtdemonstration der rechten Extremisten. „Nieder mit der PKK!“, „Wir wollen Waffen“ war auf Transparenten geschrieben. Die Kurden haben sich an diesem Tag nicht auf die Straße getraut. Immerhin verlief jener Tag in Kusadasi friedlicher als in der Touristenstadt Alanya, wo ebenfalls eine Beerdigung stattfand. Dort versuchte die Menge zwei kurdische Passanten zu lynchen.

Der 47 Jahre alte Lütfü Suyolcu, ein Reiseführer, hat über Jahre hinweg als Bürgermeister das Leben in Kusadasi mitbestimmt, obwohl er bei den Kommunalwahlen im März nicht wiedergewählt wurde. Der gewiefte Lokalpolitiker weiß, daß ohne die Tausenden kurdischen Bauarbeiter und die saisonal Beschäftigten im Dienstleistungssektor der Tourismus zusammenbrechen würde. „Wir dürfen die Kurden nicht ausgrenzen, schließlich reden wir ja von der Einheit der Nation“, sagt Suyolcu, und vehement wehrt er, Verteidiger des Gewaltmonopols des Staates, sich gegen eine „Freiwilligenarmee: „Wo kommen wir den hin, wenn jeder eine Pistole in die Hand nimmt.“ Die Vorwürfe, daß die Stadtverwaltung unter seiner Regie Kurden diskriminiert und kurdische Häuser abgerissen hat, weist er zurück. Er habe nie einen Unterschied zwischen Türken und Kurden gemacht. Doch manche Maßnahmen der Stadtverwaltung hätten soziale Gruppen getroffen, die mehrheitlich Kurden seien. So die Straßenverkäufer, die gebratene Muscheln verkauft haben. „Es war ein Krebsgeschwür. Es stank. Es hat Touristen abgeschreckt. Ich habe den Straßenverkauf verboten. Was kann ich dafür, wenn die Mehrheit der Straßenhändler aus dem Osten ist.“

Suyolcu vergißt nicht hinzuzufügen: „Die alteingesessenen Kurden lieben mich. Diejenigen, die ein Geschäft und eine Steuernummer haben.“ Von „Integrationswilligen“ ist die Rede und von denjenigen, die eben nicht in die Zweidrittelgesellschaft Kusadasis hineinpassen. Ein Zufall, daß die Ausgegrenzten Kurden sind.

Doch der Alltag in Kusadasi ist anders, als Suyolcu nahelegt. Der Schreibwarenhändler Latif Sansür gehört fast schon zum Establishment Kusadasis. Er arbeitet nebenbei als Lokalreporter für die angesehene Tageszeitung Cumhuriyet und im ersten Privatradio Kusadasis. Jemand, der mit allen Honoratioren der Stadt verkehrt. Doch Sansür ist Kurde, obwohl er in Kusadasi aufgewachsen ist. Jüngst stritt er mit einem Lokalpolitiker. Irgendwann mal schrie der Mann nur noch: „Du dreckiger Kurde!“ Das Wahrzeichen Kusadasis ist eine Plastik vor der Karawanserei: Dutzende Tauben im gemeinsamen Flug. Die Plastik soll den Frieden symbolisieren.