■ Kolumne
: Konsens zu Kackhäusern

Ich war eigentlich für Bulgarien. Dann verloren sie jedoch 0:3 gegen Nigeria und der Reporter sagte angesichts der immer schwächer werdenden bulgarischen Mannschaft: „Ich vermisse bei den Bulgaren so etwas wie Moral. Bei den englischen Mannschaften gebe es das zum Beispiel niemals. Die könnten mit 0:8 hintenliegen, und würden immer noch alles geben.“

Am Tag zuvor war ich mit einem Taxifahrer ins Gespäch gekommen, der mir von seinem vergeblichen Versuch erzählt hatte, als Musiker Karriere zu machen. Er war Jazzer, Fusion-Jazzer, und hatte Anfang bis Mitte der 70er probiert, damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, was aber natürlich nicht geklappt hat, wie sich jeder ausrechnen kann, der in dieser Stadt schon mal versucht hat, durch Auftritte ein reicher Mann zu werden. Viele seiner damaligen Musikerkollegen hätten es dennoch geschafft, „mit Tanzmucke. Die haben teilweise 12.000 im Monat verdient. Aber ich wollte das nicht machen. Ich bin aus der '68er-Generation, weißt Du...“, fügte er entschuldigend hinzu, und ich dachte mir: Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Du hast recht gehandelt, mein Sohn, und wenn es so etwas gibt wie das jüngste Gericht, werden deine rückgratlosen ehemaligen Kollegen dann geschlossen zur Hölle fahren.

Denn natürlich gibt es Gut und Böse. Böse ist zum Beispiel, auch wenn 1968 lange zurückliegen mag, der Axel-Springer-Verlag. Kürzlich mußte ich eine erhitzte Diskussion mit einer jungen Architektin führen, deren Bruder bei der „Bild“ tätig ist. Meine Bemerkung: „Ich würde niemals für Springer arbeiten“, brachte sie zum Explodieren.

„So ein Quatsch! Das ist die beste Ausbildung, die man kriegen kann! Ich habe auch bei einem Büro gearbeitet, wo ich Häuser bauen mußte, die ich absolut kacke fand. Ich mußte das tun, weil ich was lernen wollte. Was hätte ich sonst tun sollen? Zuhause sitzen und Däumchendrehen?“

Vielleicht Taxifahren. Oder reden. Solange es noch möglich ist. Denn wenn man erstmal selber anfängt Kackhäuser zu bauen, kann man sich natürlich auch nicht über die das Auge beleidigenden Kackhäuser aus eines anderen Architekten Feder ereifern. (Und das bringt viel Spaß!) Ich könnte jetzt also in den allerschönsten Kulturpessimismus übergehen, klagen, daß die jungen Menschen keine Moral mehr kennen.

Aber das eigentliche Problem ist meiner Einschätzung nach ein generationsunabhängiges: In Deutschland zählt der gesellschaftliche Konsens als moralische Instanz scheinbar mehr als das eigene Gewissen. Vereinfacht gesagt: Deutsche wollen nicht dumm auffallen und machen deswegen das, was alle tun. Was steckt dahinter? Angst? Völlige Abwesenheit eines Gewissens? Oder nur Denkfaulheit? In jedem Fall sind mir zehntausend verschlungene, nervtötende PC-Diskussionen am Tag lieber als ein gesellschaftlicher Konsens, der das Arbeiten für Springer oder das Bauen von Kackhäusern gestattet.

Detlef Diederichsen