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Bruch mit Überfracht

■ Premiere von „tanz:Mauser“ nach Heiner Müller

Was sagt uns „Revolution“ noch? Ist 1989 eine deutsche Revolution? Produziert die Befreiungsfront in Ruanda eine Revolution? Oktoberrevolution? Gehört Töten zu einer Revolution? Beherbergt die Vorstellung „Revolution“ noch einen Menschen? Was kann ein Revolutionsstück auf dem Theater heute wollen?

Heiner Müllers Mauser, über einen Henker der Partei, dem plötzlich das Gehorsamsrädchen hakt und den seine Revolution daraufhin frißt, geschrieben 1970, liegt in diesem Netz aus Fragen heute wie ein rohes Stück Fleisch. Rüpelhaft und aggressiv drängelten sich seine Sätze einst durch die Staffage der sozialistischen Erziehungsmentalität, um willentlich provokant die real-sozialistische Sinnstiftung zu befragen. Doch der damalige Reflex auf die verhornten Mythen einer militärisch zum Sozialismus gezwungenen Gesellschaft wirkt in seiner monotonen Gewalt heute mehr wie eine aufgeregte Pose als wie ein gezielter Schlag.

Stefan Rosinski, der Mauser in ein Tanzschauspiel übertragen hat, war sich dieser Schwierigkeit wohl bewußt, und so ging er auf die Suche nach Übertragungen. Was er fand, war das Gleichnis vom Widerstreit zwischen Herz und Hirn. Beladen mit unzähligen geisteswissenschaftlichen Bezügen versucht Rosinski die Rebellion des „Körpers“ gegen die „Ideologie“ durch Störungen zu verbildlichen. Stottern und Zucken, Epilepsie und Infantilität, Hemmung und Wahn der vier Akteure sollen zeigen, daß der komplette Mensch der geistigen Übermacht festgefügter Ideologien nicht dingbar zu machen ist.

Diese ungesteuerten Affektreflexe inszeniert Rosinski nun zu einer Choreografie aus Text und Bewegung, die oft an Einar Schleefs „Wessis in Weimar“-Inszenierung erinnert, aber viel verschwenderischer mit Verweisen umgeht.

Der Henker, ein romantischer Held im Stadium der Verwirrung (Oliver Jacobs), wird durch seine monotone Artikulation zur seelenlosen Unperson, deren Funktionsgehorsam ebenso die Motivation fehlt, wie ihrer plötzlichen Fehlerhaftigkeit. Und das weibliche Gericht der „Partei“ (die Tänzerinnen Fiona Gordon, Claudia Kratzheller, Anne Rudelbach) schwankt bei der sachlichen Rache zwischen dem Zerbrechen der Worte und dem Zersteuern in emotionslose Angstbewegungen.

In den musikalischen Einwürfen zu Musik von Nick Cave verwandeln sie sich dann in durchaus beeindruckenden Bewegungen in tanzende Erinnyen, denen menschliches Entsetzen fremd ist und die schließlich, bedeckt mit einem Totenhemd, in die Wand zurückkehren, aus der sie entsprungen sind (Choreografie: Fatima Niza).

Mit dieser, aus Brechts Techniken hergeleiteten Bekämpfung der Identifikationsmöglichkeiten beschwert Rosinski die intellektuelle Pose Müllers noch mit inszenatorischem Pathos. Es ist das Pathos der absichtlichen Distanz, das in seiner bleischweren Ernsthaftigkeit leider oft affektiert wirkt. Im Zusammenhang mit der Tötungs-Metaphorik in Wort und Bild (blutige Einschußlöcher, Totenhemden, Tötungsgesten, Gras ausreißen) ergibt sich hier weniger eine Brechung des Ernstes, als eine Überfrachtung mit Gesten, die sich durch die tatsächliche Unbetroffenheit des Spiels selbst entleeren.

Die einzige Chance für dieses Stück wäre es gewesen, die rohen Metaphern Müllers durch Humor zu entschlüsseln. Und tatsächlich blinken viele Momente auf, die erahnen lassen, was hätte passieren können, wenn das Kräftemessen mit einem Autor einer spielerischen Kritik gewichen wäre. Doch diese bleibt leider in Ansätzen hängen. Absurde Sprichwörter (“Eigenen Hühner, teure Eier“), höhnische Breitseiten (“Schwab, ein Schwätzer“) oder rasende Zungenbrecher (“Fischers Fritze...“) werden von den drei Tänzerinnen zum kurzzeitigen Amusement in die vielfach wiederholten Kernsätze über den nötigen Tod der Feinde der Revolution eingeflochten.

Im Dialog mit der atmosphärisch dichten Bühne aus Gras und Gittern von Luise Cherwonatis und den Kostümen aus Erde und Frauenlob-Einweckglasdichtungen von Carmen Hanselmann wäre eine weniger auf Bedeutung dringende Regie die produktivere Variante gewesen.

Till Briegleb

Noch bis zum 3. Juli, Ehemalige Bombenzünderfabrik Essener Straße 2 (U-Bahn Ochsenzoll/Bus 378, 292), jeweils 21 Uhr

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