Der Herr der Schleuse

■ Eine Begegnung der anderen Art: Ost-Schleusenwärter und West-PaddlerIn

„Dieses unser Land ist immer noch geteilt“, sagt der frischgebackene Bundespräsident im Autoradio, als wir auf der Rückfahrt vom Bahnhof sind. Wir haben drei Tage Paddeltour auf den brandenburgischen Seen nördlich von Berlin hinter uns und stimmen Roman Herzog aus vollem Herzen zu: Das Land ist in der Tat noch geteilt. Allerdings nicht so sehr zwischen Ost und West als zwischen oben und unten: Wir unten im Klepper-Faltboot, der Schleusenwärter oben auf der Brücke. Dazwischen liegen Welten.

Denn der Schleusenwärter schlechthin ist ein Fossil. Unerkannt hat er sich (ähnlich dem Grünen Pfeil) als letztes Relikt der untergegangenen DDR in den Kapitalismus gerettet. Das läßt er uns spüren. Doch der Reihe nach.

Die Reise beginnt im Bahnhof von Oranienburg. Hier lebt und wirkt ein naher Verwandter des Schleusenwärters: Der Zugplaner. Er ist dafür zuständig, daß Züge die korrekte Anzahl von Waggons besitzen. Vor allem hat er zu verhindern, daß am Morgen des Pfingstsamstag, wo der Bahnsteig schwarz von Ausflüglern ist, kein Gepäckwagen für Fahrräder und Paddelboote zur Verfügung steht. Auch in diesem Jahr hat der Zugplaner seine Arbeit prima erledigt: Erst mit dem nächsten Zug erreichen wir deshalb Fürstenberg, dessen Bahnhof den unbedarften Reisenden doch sehr an die Bilder von Bad Kleinen erinnert.

Zehn Minuten nach dem Start der Tour auf der Havel begegnen wir zum erstenmal dem Schleusenwärter. Schleusen sind dazu da, den Menschen das Umtragen von Wehranlagen zu ersparen. Theoretisch – denn wenn man zur Unzeit kommt (“geschleust wird in einer Stunde“), gilt es trotzdem, das vollbeladene Boot zu schultern und zur Einsetzanlage zu wanken.

An der nächsten Schleuse klärt uns ein Einheimischer auf, als unser Unmut über den angeblich faulpelzigen Schleuser sich Luft macht. „Das müßt Ihr verstehen, Leute, der braucht auch mal seine Ruhe. Seit neun Uhr arbeitet der ohne Pause.“ Wir verstummen. Wer wollte dem armen Mann seine hart erarbeitete Pause nicht gönnen? Als wir sie geduldig abgesessen haben, gibt uns der Mann eine Demonstration seiner Arbeit: Aufstehen vom Tisch, Jogginghose über dem Bauch festzurren, in die Badelatschen schlüpfen. Die acht Meter dreißig bis zur Schleuse zurücklegen, sich über die Reling lehnen und die Schiffe zählen. Ein Knopfdruck: Die Schleusenkammer öffnet sich, ein weiterer und sie schließt. Dann das gleiche nochmal für das vordere Schleusentor. Bei frühlingshaftem Wetter eine wahre Schinderei.

Natürlich gibt es auch angenehme Erscheinungen unter den Wärtern, die mit uns gemütlich schwatzen, uns neben ihrem Haus zelten lassen oder unsere schnittigen Boote bewundern. Doch die Sympathie, die wir für diesen Bundesbediensteten an der Bundeswasserstraße hegen, macht der Kollege sechs Flußwindungen weiter zunichte. Als wir uns vor den plötzlich hereinbrechenden Regenfluten unter ein Dach flüchten, will er uns tatsächlich dort verjagen. Nur der Umstand, daß sein Schäferhund offensichtlich wasserscheu ist, verhindert eine Katastrophe.

Zwischen den allmächtigen Schleusenwärtern an brandenburgischen Gewässern und den ohnmächtigen Wasserwanderern aus Berlin klaffen Welten. Vielleicht ist das der Grund, warum die Fusion der Länder Berlin-Bandenburg fast gescheitert wäre. bpo