Sanssouci
: Vorschlag

■ „Velvet Underground & Nico“ im Freiluftkino Bethanien

Hat es diese Band tatsächlich je gegeben? Sind das nicht alles Einbildungen, Phantasien, Hirngespinste? Überliefert sind ein paar Schallplatten, Fotos, Interviews mit Leuten, die irgendwie im Dunstkreis von Andy Warhol und seiner Factory rumhingen. Geschichten von Sex, Kunst und Spontanität, die beinahe 30 Jahre später unwahrscheinlich klingen. Frage an Andy Warhol: Sie gründeten eine Rockband? Warhol: Ja, sicher. Die Band hieß Velvet Underground.

Liest man die Velvet-Underground-Biographie „Up-Tight“, fasziniert vor allem die scheinbare Zufälligkeit, mit der um 1965 Dinge passierten, die heute aussehen, als hätte sie jemand arrangiert, um später der Welt zu sagen: so war das damals. Die Lakonik, mit der Nico einen Bandbus steuerte („Wir wußten nicht einmal, ob sie einen Führerschein hat“) oder Moe Tucker den Job als Schlagzeugerin bekam, in einer Band, in der John Cale „keine Mädchen“ haben wollte, wirkt heute wie ein Mythos von den ersten Freaks, die noch vor Woodstock einfach taten, was sie wollten. Ihr einziger Schutz vor der Welt waren Sonnenbrillen.

Jetzt ist noch ein Beleg dafür aufgetaucht, daß es das alles tatsächlich gab: Andy Warhol hat im Januar 1966 versucht, mit einer Kamera festzuhalten, was passiert, wenn ein Mensch Velvet Underground hört. Zunächst sehen wir das Gesicht einer gelangweilt herumstehenden Frau. Wir hören verzerrte, technisch schlecht aufgenommene Musik. Ein einziger langer Gitarrensound, als schleppe er sich durch die Gänge von Warhols Factory. Und kein einziges Wort, 70 Minuten lang. Man sieht Nico zaghaft auf ein Tambourin klopfen. Ihr Gesicht verschwimmt, kommt auf uns zu, entfernt sich. Warhol macht zoomedizoomzoom. Er liebt Nico, mindestens so sehr wie Lou Reed, den wir später mit einer 180-Grad-Drehung hinter Nico hersehen und -gehen sehen. Irgendwann sehen wir die anderen Gestalten. Die, die den Lärm machen. Warhol läßt Gesichter verwackeln, produziert prima Unschärfen. Vor Nico sitzt ein Kind auf dem Boden (aus „Up-Tight“ erfahren wir, daß es ihr Sohn Ari ist, gezeugt von Alain Delon). Von Cale und Reed sehen wir dauernd nur die Sonnenbrillen und die langen Haare vorm Gesicht. Wie Jazzer bei einer zu langen Improvisation scheinen alle mit ihren Instrumenten und dem Raum zu verschmelzen. Der Junge am Schlagzeug ist ein Mädchen.

Als einen das alles schwer zu langweilen beginnt, kommt endlich die Polizei. Wie ein Außerirdischer steht plötzlich ein Cop halb im Bild. Hier endet das Fragment, das Warhol selbst nie gezeigt hat und das erst jetzt von der Warhol-Stiftung ausgegraben wurde. Der Kameramann Warhol muß geahnt haben, daß es kaum ein wahrhaftigeres Bild geben würde als das Erstaunen über das Eindringen der Außenwelt in den Kosmos dieser Musik. Andreas Becker

Heute, 21.45 Uhr, im Freiluftkino Bethanien, im Hof des Künstlerhauses, Mariannenplatz, Kreuzberg.