■ Normalzeit
: Politische Korrektheit in Person

Während im Haus der jungen Demokratie (HdjD) in der Friedrichstraße mit sieben Betriebsräten aus acht Bundesländern die politisch korrekte Linie im Arbeitskampf ausgelotet wurde, sprach im Podewil in der Klosterstraße Walter Seitter über „political correctness“. Dem Foucault- Übersetzer und Wiener Meister des Neobanalismus hatte der Poppenbütteler Punkpapst, Dietrich Diederichsen, das Thema geradezu aufgezwungen. Gleichwohl ließ er sich nicht aus seiner Schlichtheit bringen. „Um Üppigeres vorzutragen, hätte ich ihm vielleicht mehr Geld anbieten müssen“, mutmaßte denn auch Veranstalter Michael Glasmeier.

Anschließend begab man sich nahezu geschlossen ins „Brazil“ in der Linienstraße, was die dortige portugiesische Kellnerin derart überforderte, daß sie sich ebenso verzweifelt wie effektvoll fortwährend in die flammendrote Haarmähne fuhr. Christian erzählte derweil ausufernd über seinen Windhund – mit persischem Vor- und Zunamen, der hinter ihm im Lokal stand und ebenso angeekelt wie gelangweilt an den „Brazil“-Gästen vorbeischaute: „Er mag keine Menschen“, so Christian, der den Hund zusammen mit einem zweiten Windhund, „seinem Bruder“, gekauft hatte, nachdem beide zu alt für den Westgerman Windhund- Court geworden waren – einem zwölfmal jährlich stattfindenden Ausscheidungskampf, bei dem die Kürleistungen und „Bisse“ eines Jahres addiert werden. Christians Windhund hatte zuletzt den 4. Platz belegt gehabt. Der Bruder war vor einem Jahr am Schlachtensee von der S-Bahn überfahren worden, nachdem die beiden Hunde Christian abgehauen waren: „Er kam dann zu mir zurück und hat mir den Weg zu seinem toten Bruder gezeigt, wobei er pietätvoll 50 Meter entfernt von ihm stehenblieb.“

Christian ist Derridafilm-Regisseur, Christiane Seiffert („Die schönsten Stellen aus der Dissertation meines Mannes“, Berlin 1986) hielt ihn jedoch die ganze Zeit für einen Frauenarzt, desgleichen Sabine Vogel („JunggesellInnenmaschinen“ – Frauenkunst des Vereins der Freunde der italienischen Nationalgalerie) sowie ihre Pornopostkarten-Mitsammlerin Nelly Rau-Häring, deren Mann jedoch selbst wie ein Psychoanalytiker aussah. Ich ließ aber nicht locker mit meinem Windhund-Interesse. Die drei Frauen betranken sich unterdes fröhlich. Später wechselten wir in eine gerade neueröffnete italienische Bar in der Alten Schönhauser Straße, wo sich alle italienischen Kräfte der römischen Küchen Berlins (erwähnt seien die taz-Kantine Blumhagen und der Buchladen in der Oranienstraße) trafen, aber auch türkische und spanische Gaststättengewerbetreibende, letztere insbesondere aus der Bar „Celona“ in der Hannoverschen Straße, über deren Besitzerin der „Podewil“-Musikmanager, Osterwohlt, sogar eine unterhaltsame Lufthansa-Geschichte zu erzählen wußte.

Kulturkritiker Lawo („Das Kissen in der bildenden Kunst“, Berlin 1989) verabschiedete sich bald darauf von uns, er mußte früh wieder raus – der Gebäudereinigungsbetrieb, bei dem er sein Geld verdiente, war von einer Fassadenrenovierungsfirma gekauft worden und er Assistent des Geschäftsführers geworden: „Ich habe also quasi Karriere gemacht, wenn du so willst.“ Osterwohlt erkundigte sich besorgt: „Übernehmen wir hier im Osten wirklich alles?“ Wir schauten uns beide gleichzeitig um, konnten aber nur mediterranblütige Existenzgründer nebst ihren Combats in Crime entdecken – was uns ziemlich beruhigte (!!!). Helmut Höge

wird fortgesetzt