Sozialmarkt der Schäbigkeiten

■ Bezirke sparen mit Sperrmüll aus bezirkseigenen Rumpelkammern Geld / Im Angebot ist jedoch nur eine schlechte Mischung aus Preßspan-Rokoko und Versandhaus-Kram

Es riecht ein bißchen nach Pfadfinderlager und Schlimmerem auf der Rampe, dicht neben dem Obdachlosenheim in der Neuköllner Teupitzstraße. Doch der Mief kommt eindeutig aus der 400 Quadratmeter großen Halle, an deren Eingang ein Schild mit der Aufschrift „Möbellager“ prangt. Dem Lagerverwalter scheint die an Euphemismus grenzende Schilderaufschrift bewußt zu sein, denn er stellt sich schützend vor die Eingangstür, als ob es dahinter Gott weiß was zu verbergen gäbe. Zu spät: Schon habe ich einen Blick auf den sich teilweise bis zur Decke stapelnden Sperrmüll erhascht. Siebziger-Jahre-New-Wave, muffiges Versandhauszeug und Preßspan-Rokoko schlängelt sich verwegen um abgeblätterte Tischbeine und nußbaumfurnierte Bettgestelle aus der Gründerzeit des organisierten Versandhandels. Gekrönt wird das ganze von einer ebenso klobigen wie keimigen Sesselgarnitur in hyperschrillem Azurro mit schwarzem Kunstlederbesatz. Auf die Frage, wo denn der ganze shit herstamme, will mir der Rumpelkammer-Zerberus keine Antwort geben und beruft sich auf seine Möbellagerverwalter-Omertà: „Ich darf keine Auskunft geben. Alles was sich aufs Möbellager bezieht, unterliegt der Schweigepflicht.“

Oh Herr, wie viele Menschen seien verreckt an deiner Langmut Größe. Als ich schließlich kleinlaut darum bitte, daß er doch mal eine Ausnahme macht, offenbart er mir das Staatsgeheimnis. Der Kram stamme von Spendern und sei für Bedürftige bestimmt. Aber weiter dürfe er sich dazu nun wirklich nicht äußern. Basta. Ehe er doch noch redselig wird und am Ende Gefahr läuft, sich einer Verhaftung wegen Hochverrats auszusetzen, verlasse ich den Geheimnisträger.

Der Charlottenburger Stadtrat für Soziales, Meyer, ist auskunftsfreudiger. Auch in seinem Bezirk gibt es ein Möbellager, das sich im Rathauskeller befindet. Von ihm kriege ich die Genehmigung zur Besichtigung des Lagers. Die Verwalterin, Frau Huber, zeigt mir den derzeitigen Besitzstand: ein paar Schreibtische, zwei Küchenschränke, ein komplettes Schlafzimmer sowie Teile von einem Jugendzimmer. Die sogenannten Möbelstücke stammen vorwiegend aus Wohnungsauflösungen und Spenden von Privatpersonen. Die Sachen sind für Sozialhilfeempfänger und andere Bedürftige, wie etwa Um- und Übersiedler, vorgesehen. Beim Sozialamt wird geprüft, ob und inwieweit der Hilfesuchende einen Anspruch auf eine Ausstattung mit Möbeln hat. Wird der Antrag bewilligt, erhält der Anspruchsberechtigte einen Bewilligungsschein, mit dem er sich die entsprechenden Möbelstücke auf dem Sozialmarkt der Schäbigkeiten aussuchen darf. Wenn keine vernünftigen und guten Möbel im Rathauskeller vorhanden sind, wird der Hilfesuchende aufgefordert, zu einem späteren Zeitpunkt nochmal reinzuschauen. Erst wenn er auch dann nicht fündig wird, erhält er einen Gutschein über einen „angemessenen“ Betrag, mit dem er sich dann bei einem Möbelhändler eindecken kann. Ob die Sozialhilfeempfänger damit zu beglücken sind, wenn sie sich den ausgemusterten Ramsch anderer Leute in die Bude stellen müssen? Für die Verwalterin ist das gar keine Frage. Sie ist einfach nur begeistert – über die Einsparungen für den Bezirk und über den Krempel, den die Leute ihr anbieten. „Leider haben wir viel zu wenig Platz“, klagt sie und erzählt, daß sie in der Woche bis zu fünf Anfragen von potentiellen Spendern erhält, die ihren Trödelkram abgeben wollen.

Nicht alle Bezirke verfügen über ein Gebrauchtmöbelmagazin. Nur in Neukölln, Kreuzberg, Lichtenberg, Steglitz und Charlottenburg versucht man Sozialhilfeempfänger mit Secondhand-Kram abzuspeisen. In allen anderen Bezirken kriegen die Hilfesuchenden Bares, um sich mit Möbeln auszustatten. Das kann für eine Einzimmerwohnung bis zu 1.500 Mark Beihilfe sein. Peter Lerch