Laß uns ein Mandel- bäumchen pflanzen

„Designer der Zukunft“: Morgen beginnt die 5. Europäische Sommerakademie  ■ Von Mariam Niroumand

Als passendes Emblem für ihr diesjähriges Vorhaben erschien den Veranstaltern der 5. Europäischen Sommerakademie ein Foto der Sphinx mit einem winzigen Reporter davor, der ihr das Mikrofon vor den sanft lächelnden, aber geschlossenen Mund hält. Alle vier Themen, die in den kommenden drei Wochen behandelt werden, bergen Ungeheuer und kleine Hoffnungsengel gleichermaßen. Zu jedem der vier Themen werden tagsüber nicht-öffentliche Workshops veranstaltet, zu denen man sich extra anmelden muß, während abends entweder Filmvorführungen oder Diskussionsveranstaltungen stattfinden, die aber leider kaum transportieren, worum es in den Workshops ging.

Am griffigsten und wahrscheinlich auch am präsentesten sind die Potentiale der digitalen Filmästhetik: Gabriele Meiringer reist aus Los Angeles an, wo sie „The Writers Computer Store“ leitet, der Software für Drehbuchautoren und Schriftsteller im Dunstkreis der Filmindustrie vertreibt. „Plots Unlimited“ enthält Handlungsalternativen: Er kriegt sie/ er kriegt sie nicht; wer Alain Resnais' „Smoking/ No Smoking“ gesehen hat, kann sich das Ganze in seiner vollen Bäumchenstruktur vorstellen. Wenn er sie nicht kriegt, wird er Alkoholiker und lernt in der Klinik XY Babette kennen, wenn doch, gibt es auf jedem neuen Abschnitt neue Verzweigungsmöglichkeiten.

Ein anderes Software-Programm gibt es für die Charaktergestaltung; was ist Babette für eine, wo kommt sie her, gab es sexuellen Mißbrauch in ihrer Vergangenheit, und dann folgt natürlich notgedrungen auf dem Fuße das Programm zur Konfliktsituationskontrolle. Wir werden Sie auf dem laufenden halten. Digitale Filmästhetik beeinflußt längst auch unmittelbar die Produktion von Spielfilmen, die schon gedreht werden im Hinblick auf ihre Konvertierbarkeit ins Videospiel. Je größer die „Interactive Possibilities per Minute“, IPM, desto höher rangiert ein Spielfilm in der Gunst der Studios.

Gänzlich sagenumwoben ist der zweite Themenschwerpunkt, die Cyberkultur. „Die animierte Großmutter kann die Sehnsucht nach der realen nicht ersetzen“, gab Peter Lilienthal den Kritikern zu bedenken. Ein exlusiver Debattierclub wurde zusammengetrommelt: Rosanne Stone aus Texas, die an virtuellen Gender Studies experimentiert; die Compañeros von der „Agentur Bilwet“, über die wir seinerzeit berichteten, dann natürlich der unvermeidliche Siegfried Zielinski von der Kölner Medienhochschule. Der andere unvermeidliche, Dietmar Kamper, ist erfreulicherweise auch da, um mit Peter Sloterdijk und Thomas Macho „in Spiralen zu diskutieren.“

Die Debatten um ästhetische Arrangements sollen in einem dritten Themenschwerpunkt flankiert werden von „Realszenarien und Friedenspolitik“. Welche „Gegenöffentlichkeit“ nutzt Vernetzung, welche Software kann in Krisensituationen Hilfe leisten. Können Konfliktpotentiale digital anvisiert und womöglich vermieden werden? Wie können Arbeitslose, Gewerkschaften und Unternehmen Computertechnologie gegen die Arbeitslosigkeit einsetzen? Klar, daß auch ein Projekt „Lust am Grauen – Faszination Gewalt“ nicht fehlen durfte. Ein weiteres widmet sich dem Einsatz von Informationstechnologie in der Schule.

Erwin Leiser mit seinem Projekt „Jeder Tag ist ein Gedenktag“ hängt ein bißchen zwischen den Stühlen. Mit polnischen, israelischen, deutschen und französischen Filmen will er über die verschiedenen nationalen Lesarten des Holocaust sprechen (Projektgruppe am 1. und 12. Juli).

Deutsche und italienische Regisseure sprechen über ihre Filme; Margarethe von Trotta ist dabei, Paolo Taviani und andere; bloß wie das funktionieren soll, worüber genau da gesprochen werden soll, bleibt recht rätselhaft. Das gilt ein bißchen für die gesamte Filmauswahl: Es stehen nebeneinander (im offenen Abendprogramm) so disparate Sachen wie Adrian Lynes „Fatal Attraction“, Mario van Peebles „Posse“, Keva Rosenfelds „20 Bucks“ oder „La Notte di San Lorenzo“ von den Tavianis.

Passend zum die Sommerakademie stets ein wenig umwehenden Chaos steht der Besuch von Timothy Leary ins Haus, den so ältliche Mitbürger wie die Autorin noch als den LSD-Rebellen kennen, der er heute nicht mehr so recht sein will. Heute, so hört man, wandelt er auf den Spuren von Fritjof Capra und will ein Mandelbäumchen pflanzen: Am 3. Juli wird er nachmittags zum Thema „Theory governing chaos and the evolution of man“ sprechen. Na denn.

Europäische Sommerakademie Film und Medien. Bis 15. 7., mit täglichen nicht-öffentlichen Workshops (Anmeldung schriftlich, Information: 390 007-31/26), Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Tiergarten.