Wenn die Glut an den Füßen nicht schmerzt

■ „Feuer und Flamme“ veranstaltet zweimal jährlich Feuerläufe gegen die Angst im Alltag

Kein vernünftiger Mensch geht über glühende Kohlen, ließe sich vermuten. Und doch versuchen Menschen in Berlin, bei einem Feuerlauf genau das zu tun. Ängste zu überwinden sei ein zentrales Ziel, so Sigrid Lange von der Organisationsgruppe „Feuer und Flamme“, neues Selbstbewußtsein werde in den Alltag getragen. Claudia Butenhoff war beim Feuerlauf dabei.

Zusammen mit 25 anderen stehe ich vor dem Feuer, es ist Nacht. Seit gestern sind wir zusammen, haben uns in Gesprächen und Meditation darauf vorbereitet.

Vor mir liegt der Glutteppich, acht Meter lang, zwei Meter breit. Vorher das riesige Feuer, Buchenholz, Schweigen beim Aufschichten, in Kontakt kommen mit dem Holz, der Natur, der Kraft um mich herum, aber auch mit der Angst in mir. Meine jetzt nackten Füße sind die letzten Stunden immer kälter geworden, kleine Eisklötze.

Bis zuletzt weiß ich nicht, ob ich drübergehen werde. Was wird passieren, wenn ich davorstehe, wenn die Angst zu groß ist und ich mich nicht traue, was, wenn ich es wage? Ich bin frei zu tun, was ich will, niemand zwingt mich zu etwas. Alle haben ähnliche Gedanken, erfahre ich später. Einer neben mir war schon dreimal dabei, letztesmal hat er sich höllisch die Füße verbrannt.

Plötzlich weiß ich: Egal was ich tue, es ist gut, wenn ich es wähle – auch das Nichttun. Ich fühle mich grenzenlos allein. Auf einmal stehe ich direkt vor dem Feuer, konzentriere mich, schaue in die Glut, reiße meine Arme hoch. Ich höre mich rufen: „Ja, ja, ja.“ Unter meinen Füßen knirscht es, nicht heiß. Nicht einmal warm ist es, nur wie trockenes, hartes Papier fühlt es sich an. Noch nie war ich so konzentriert wie jetzt, ich bin zusammengeschrumpft auf diesen einen Gedanken: Ja, ich will, und es geht.

Ich bin drüber. Jemand umarmt mich, ich kann es noch nicht fassen. Meine Eisfüße stecke ich in einen Wasserkübel, damit die zwischen den Zehen hängende Glut mich nicht noch nachträglich verbrennt. Meine Füße sind schwarz, erst in den nächsten Stunden werden sie langsam wieder warm. Noch zweimal gehe ich über die Glut, meine Füße bleiben heil, keine Blasen.

Ich habe keine Ahnung, wie und warum es funktioniert. Eiweiß zerfällt bei 56 Grad, die Glut hat mehrere Hundert. Das bewußte Erkennen und Überwinden der von außen vermittelten und innen verfestigten Grenzen gibt große Kraft, die in den Alltag mitgenommen werden kann.

Für mich war die Vorbereitung wichtiger Bestandteil, sie ist aber nicht unbedingt notwendig. Mit uns sind drei Kinder über das Feuer gegangen, einfach so, Vertrauen und Hingabe genügt also.

Feuer und Flamme, Telefon 692 94 33 oder 891 61 76.