■ New York: kleine Läden mit großen Geschäften: Arbeiten im Saunaklima
New York (taz) – Die Hitze ist unerträglich. Schon draußen auf dem Broadway sind es mehr als 25 Grad. Doch den Kunden, die den kleinen Laden der Ecke zur 80. Straße betreten, rinnt der Schweiß sofort in Strömen aus allen Poren. Kein Wunder: Direkt hinter der Theke, wo die Bagels verkauft werden, stehen die großen Öfen, in denen diese Teigringe gebacken werden. Die Männer dort schuften in Hitze und Enge – so, als müßten sie in einer Sauna Brötchen backen.
Doch die Arbeit in dem kleinen Laden ist gewinnträchtig. Jedenfalls für die Betreiberfirma „H & H Bagels“. Die läßt hier Tag um Tag 100.000 Bagels backen, einen Brotkringel, der mit den Juden nach New York kam. Bestreut mit Sesam und Mohn oder einfach nur „plain“ gilt das Gebäck mittlerweile als Spezialität und als schneller und gesunder Happen zwischendurch. Ein Teil der Bagels wird im Laden an der Ecke Broadway/80. Straße verkauft, doch den Großteil verschickt die Firma weltweit. Bei einem Preis von 65 Cents pro Stück (ca. eine Mark) ergibt das einen Umsatz von 100.000 Mark pro Tag. Für die Arbeiter ist das Knochenarbeit.
Camillo ist in dieser Woche Vorarbeiter der Tagesschicht, einer von drei Schichten mit je sechs bis acht Mann, die 24 Stunden am Tag auf einer Fläche von 60 Quadratmetern den Teig mischen, ihn kneten, die Teigringe kochen, sie bestreuen, in den Ofen schieben und die fertigen Bagels zur Theke reichen oder in Versandkartons packen. Für die Belüftung sorgt eine einzige offene Tür, in der ein riesiger Ventilator steht, um die Luft von der Straße in die Backstube zu drücken. Kein einziger der acht Arbeiter ist ein „Wasp“, ein „White Anglo-Saxon Protestant“, aus denen sich noch immer die amerikanische Führungsschicht rekrutiert. Stattdessen setzt sich die Crew aus Mexikanern, Asiaten, Latinos und Puertoricanern zusammen. Als Bezahlung gibt's den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn von 4 Dollar und 25 Cents.
Wenn in der New Yorker Wall Street die Aktien fallen oder die Immobilienpreise sinken, sind auch riesige Verluste möglich. Ganz anders in solch kleinen Läden wie dem H & H Bagel-Shop: Mit minimalem Kapitalaufwand werden hier maximale Umsätze erzielt. Sind Öfen und Knetmaschinen erst einmal abgeschrieben, ist der „Input“, den der Unternehmer einsetzen muß, gering: Mehl, Wasser, Hefe, Handarbeit. Alles preiswert. Daß die Löhne nicht steigen, dafür sorgt schon der stetige Nachstrom neuer, billiger, williger Arbeiter. Viele arbeiten für fast jeden Preis; in einem Bagel-Shop oder irgendwo anders. Es gibt viele solcher kleinen Läden in Manhattan, in denen die Löhne karg sind und die Gewinne riesig. Profit zu machen und die Menschen dabei auszubeuten, sind zwei gute alte New Yorker Traditionen, die meist zu üblen Arbeitsbedingungnen führen. Zu Hitze und Enge, so daß derjenige, der den Teig anrührt, fast Schulter an Schulter mit demjenigen steht, der die fertigen Bagels schließlich einpackt.
Doch auch das hat Tradition in New York: aus einer kleinen Fläche einen möglichst hohen Profit herauszuholen. Nur deshalb begann man in dieser Stadt die Häuser immer höher zu bauen. Und nur deshalb müssen Camillo und seine Kollegen 100.000 Bagels pro Tag auf einer Fläche backen, auf der in Deutschland nicht mehr als ein Bäcker und zwei Lehrlinge arbeiten würden.
Wer in dieser Stadt einen Raum besitzt, von dem aus er den Büroangestellten in der Mittagspause Hamburgers und Cola verkaufen kann, hat schon fast sein Glück gemacht. Wer nicht mal diesen Platz hat, sorgt für rollende Goldgruben: Wie die vielen fahrbaren Imbißstände, die Eis, Popcorn und Sandwiches verkaufen. Die machen zwar nicht die Verkäufer reich, doch vielleicht die Unternehmer, die jeden Morgen die fahrbaren Stände samt Verkäufer per Lkw über die Stadt verteilen und sie abends wieder einsammeln.
Der Chef der „Division of Operation“ der H & H Bagel-Company heißt David Spier. Der 27jährige residiert in einem Büro am Hudson River. Das Abheben des Telefonhörers ist eine bevorzugte Handbewegung. Per Fernsprecher dirigiert er einen Truck mit Mehl zum Ziel oder steuert die Bäckerei in der 80. Straße fern. „Unsere Bagels sind deshalb so gut, weil wir nach einem alten Geheimrezept backen“, erklärt Spier zwischen zwei Anrufen. Außerdem werde die gesamte Herstellung von einem Rabbi überwacht, der bestätige, daß die Bagels koscher seien. „Wir verwenden ausnahmslos erstklassige Zutaten“, ist Spier stolz, „denn unser Unternehmen strebt nur danach, Qualität zu produzieren.“ Deshalb sei H &H Bagels auch so erfolgreich. Der kleine Laden an der 80. Straße als einzige Produktionsstätte bringe seine Firma unter die Top 5 der rund 75 Bagel-Bäckereien New Yorks. Man sei sogar zum offiziellen Bagel-Lieferanten des Eurodisney- Parks bei Paris erkoren worden. Selbstsicher erklärt Spier: „Unser Wahlspruch lautet: H & H Bagels – so gut wie kein anderer Bagel auf der Welt.“
Damit das so bleibt und damit bei H & H die Kasse klingelt, müssen Camillo und seine Männer in der 80. Straße weiter schwitzen. Um für ihren Chef auch heute wieder 100.000 Bagels zu backen. Reinhard Mohr
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