Ecstasy als Antwort auf den Thatcherismus

■ Interview mit Nicholas Saunders (55) aus London, Autor des Buches „E for Ecstasy“ / Beim Umgang mit Drogen spielen auch nationale Merkmale eine Rolle

taz: Was sind für Sie die Vorteile von Ecstasy im Vergleich zu anderen Drogen, beispielsweise Haschisch?

Nicholas Saunders: Es ist eine andere Erfahrung, von Haschisch wird man stoned, was ja sehr angenehm sein kann, aber es verhilft nicht zu erhöhter Klarheit. Mit Ecstasy ist man sozusagen normaler als normal, es verleiht ein sehr klares Wahrnehmungsvermögen.

Sind Haschisch und Ecstasy Ausdruck ihrer jeweiligen Ära, eines bestimmten Lebensgefühls?

Es gibt eine Theorie, die besagt, daß Ecstasy die Reaktion auf den Thatcherismus der achtziger Jahre mit seinem erbarmungslosen Materialismus ist. Die jungen Menschen wollen sich vergnügen, ohne Unmengen von Geld auszugeben oder an irgendwelchen glamourösen Aktivitäten teilzunehmen. Ecstasy löst ein Gefühl der Nähe, des Teilens, der erhöhten gemeinsamen Erfahrung aus. Es ist eine Zelebrierung im religiösen Sinn, es ist ein Ersatz für Religion.

Religion ist eine Ersatzdroge. Warum soll man sich einen Ersatz für eine Ersatzdroge hereinziehen?

Es geht mir um die echten spirituellen Erlebnisse, die heutzutage fehlen. Ich habe vor kurzem mit einem Rabbi gesprochen, der sich darüber beklagte, daß alle Hauptreligionen strikten Formalien unterworfen sind, so daß sich nur noch selten religiöse Erfahrungen einstellen. Der Aufstieg von Ecstasy hängt mit dem Niedergang der Religion und mit der Entfremdung von der Gesellschaft zusammen. In den vergangenen zwanzig Jahren haben viele Menschen ihre Heimatdörfer verlassen und leben isoliert in den Großstädten. Sie vermissen ihre kleinen Gemeinden. Ecstasy gibt ihnen ein Gruppengefühl.

Ist das eine spezielle britische Erfahrung, oder gilt das auch für andere Länder, etwa die USA?

Ich glaube, in den USA ist die Einstellung zu Ecstasy anders als in Großbritannien. Hier geht es um Partys und Raves, um das Gruppenerlebnis. In den USA glaubt man, das liege daran, daß wir Briten so verkrampft sind und Schwierigkeiten haben, unsere Gefühle auszudrücken. In den USA wird Ecstasy viel öfter zu Hause eingenommen – allein oder mit ein, zwei Freunden. Es ist mehr eine nach innen gerichtete Erfahrung. Insofern spielen nationale Merkmale bei dem Umgang mit Ecstasy wohl eine Rolle. Besonders fasziniert mich die Situation in Nordirland. Die meisten Rave-Clubs in Belfast sind konfessionell getrennt, katholische und protestantische Jugendliche reden höchstens miteinander, um sich gegenseitig Beleidigungen an den Kopf zu werfen. In den wenigen gemischten Clubs umarmen sie sich jedoch gegenseitig, wenn sie Ecstasy genommen haben.

Sind Sie der Meinung, daß Ecstasy und andere Drogen freigegeben werden sollten?

Das ist schwer zu sagen. Sie sollten auf alle Fälle legal erhältlich sein. Ich glaube allerdings nicht, daß es funktionieren würde, sie den Gesetzen der freien Marktwirtschaft zu unterwerfen. Es müßte eine Art Lizenzsystem geben, damit sie nicht unkontrolliert erhältlich sind. Das Risiko, durch die Einnahme von Ecstasy zu sterben, ist übrigens äußerst gering und hat fast immer etwas mit Unwissenheit zu tun. Die größte Gefahr ist der Wasserverlust. Einige Jugendliche sind einem Hitzschlag in der Discothek zum Opfer gefallen. In manchen Fällen wußten sie nicht, was sie einnehmen. Sie dachten, es sei etwas anderes und gerieten dann in Panik. Interview: Ralf Sotscheck, Dublin