Gruppenreise in einen Gesamtkosmos

Nachts um zwei starten italienische Jugendliche auf Motorrädern ihren Ecstasy-Trip in ein gemeinsames Jenseits – immer am Strand entlang /„Hascher kichern uns zuviel“  ■ Aus Terracina Werner Raith

Der Unterschied zwischen euch und uns“, doziert Calogero, 19, genannt Zampa gialla („Gelbe Tatze“), und setzt eine großzügig- erklärende Miene auf, „ist der: Für euch war Hasch und LSD, Heroin und Koks so was wie eine Rebellion, vor allem aber ein individuelles Erlebnis; für uns ist es eine Kollektiverfahrung, wenn wir Ecstasy nehmen und mit fünfzig oder dreihundert Leuten aufbrechen, um auf unseren Harleys und Guzzis, aber auch auf einfachen Motos den Trip in ein gemeinsames Jenseits zu unternehmen.“

Giegghi, 18, die sich „Jacky“ ausspricht, aber auf eine italienische Schreibweise hält, unterbricht die Neuauflage ihrer grünweißroten Striche zwischen Ohr und linkem Mundwinkel: „Gemeinsam high sein ist nicht nur das gleichzeitige Erleben desselben, da fühlt man sich als Teil eines Gesamtkosmos, das kannst du dir gar nicht vorstellen.“ Dann mißt sie mich mit einem mitleidigen Blick: „Und wahrscheinlich darf man da auch nicht zu alt für sein.“

Die Motorradclique trifft sich abendlich vor der Karaoke-Bar in der Via Badino im Badeort Terracina; doch „wenn wir da zusammenkommen, geht da noch lange nichts“, sagt Romano, 21jähriger Medizinstudent und einst vom örtlichen Pfarrer liebevoll ausgebildeter Solist in Volkstanzaufführungen: „Wir müssen uns erst mal gegenseitig beschnuppern, damit da kein falscher Vogel dabei ist, hinter dem per Funk drei Hundertschaften Polypen dreinflattern. Dann geht's durch die drei Diskotheken in der Gegend, so um eins eine Spaghettata im „Sombrero am Strand“, bis dahin weiß man, wer mitmacht. Gegen zwei Uhr wirft man dann die ersten Pillen ein.“ Und los geht die Sause – hoch den Strand von Sabaudia bis fast nach Anzio, immer auf der Düne entlang, dann landeinwärts und die Staatsstraße 148 wieder südwärts, danach auf die Via Appia und in den „Fungo“, wo man bei Bedarf neuen Stoff tanken kann. Auch „das eine oder andere Bierchen tut dazwischen gut“, wie „Gelbe Tatze“ beschreibt, „bei manchem wirken die Pillen nämlich nur langsam.“

Zunächst war die Fahrerei „draußen“ eine Art Notbehelf gewesen: Weil es nach der Disco viele Unfälle gegeben hatte, haben die Behörden die Sperrstunde immer weiter nach vorne verlegt – „und da haben wir gemerkt, daß draußen das Erlebnis viel intensiver ist“, erinnert sich Giegghi und klappt ihren Taschenspiegel zu. Und die Traditionsdrogen? „Wer will, kann natürlich koksen, aber erfahrungsgemäß kommt's dann irgendwann zum Stunk, und Hascher wollen wir schon gar nicht – die kichern zuviel und denken zuwenig an Kommunikation.“ Die spielt sich freilich dann bei vielen am Ende auch eher zu zweit ab – Ecstasy heißt nicht umsonst auch Liebespille. Dennoch verschafft Zampa gialla, seit seinem 14. Lebensjahr erprobter Dealer, auch den „Einsteigern und ihren Tussis alles, was sie brauchen. Nur: Sie müssen wissen, daß sie mit fünf Gramm Hasch nicht das Eintrittsbillett für unseren „Sballo“ (Ekstase, Übertreiben, Ausgelassensein) erworben haben.“

Bei Techno-Sound ins Paradies oder in die Hölle

Italiens Drogengebraucher der jüngsten Generation sind eine Gemeinschaft, die sich von früheren Junkies in mehrerlei Hinsicht unterscheidet: Sie halten sich für absolut „clean“, weil die synthetischen Drogen zunächst keine sichtbaren Spuren am Körper hinterlassen; sie berauschen sich tatsächlich meist nur am Wochenende. Und sie fühlen sich nicht abstrakt als „Ingroup“, wie einst die Rebellen der 68er-Generation, sondern ganz konkret. Sie bewegen sich in einem abgegrenzten Zirkel, zu dem kein Außenstehender Zutritt hat. Die Drogenwirkung wird durch dieses Gefühl der Exklusivität offenbar noch gesteigert, ebenso wie durch die Tendenz, die Wirkung der Drogen auf dem Motorrad oder im offenen Buggy bei Fahrtwind zu genießen.

Saßen die Haschraucher einst in verräucherten Kemenaten, liegen die Heroinsüchtigen in zerknitterten Betten oder auf der Straße, greifen Kokser „danach“ oft zum Musikinstrument oder beginnen zu malen, so ist für die neue Generation „das Erleben des Lebens in diesem harten Gegenwind und neben -zig rauschenden und dröhnenden Maschinen das Höchste“. „Haste keine Maschine“, sagt Giecchi, „kannste das nur durch eins ersetzen: durch eine mindestens 150 Quadrat heiße Techno- music.“ Das „150 Quadrat“ steht für Dezibel Lautstärke und 150 Rhythmusschläge pro Minute, in manchen Diskos hämmern die Boxen schon mal mit 180 Stakkati pro Minute mitten ins Gehirn. Selbst versierte Discjockeys, wie der kürzlich ausgestiegene Tony vom „Tunnel“, gestehen, daß „man das nicht länger als eine halbe Stunde aushält, dann glaubt man auch ohne Ecstasy, im Paradies zu sein – oder in der Hölle“.

Der Polizei gelingt es nur selten, in solche Zirkel einzusteigen – erst einen einzigen Infiltraten konnten die Mannen des obersten Drogenfahnders General Soggiu im Ecstasy-Ambiente plazieren – „auch deshalb, weil offenbar der Austausch zwischen Junkies und Ecstasy-Jüngern nur selten vorkommt“. Nur die Dealer sind oft dieselben – der einzige fruchtbare Ansatzpunkt bisher. Ein organisierter, über Lokalfunk angekündigter „12-Stunden-Sballo“ in der Provinz Turin brachte zwar die Sicherstellung von gut 300 Pillen – „aber gut tausend waren da schon über den Tisch gegangen“. Ein italienischer Chemiker namens Francesco Gessa hat von Amsterdam aus einen Mailbox-Versand organisiert, von dem man gegen Vorauskasse Pillen und LSD-Briefmarken postalisch ins Haus geliefert bekommt. In solchen Fällen allerdings arbeitet „Gelbe Tatze“ mit der Polizei zusammen. Denn das wäre ja noch schöner, daß „ein ausgerissener Junkie vom Ausland her uns Konkurrenz macht, wo wir hier den Markt aufgebaut haben.“