: Tschernobyl wird Dauerbrenner
■ Weltbank-Bericht befürchtet Nutzung "bis zur Erschöpfung der Kühlsysteme" / Westliche Geldgeschenke zur Reparatur des maroden Sarkophags gefordert
Berlin (taz/AP) – Die Tschernobyl-Reaktoren sollten keinen einzigen Winter mehr weiterlaufen. Diese Forderung erheben nicht allein Umweltschützer, sondern auch Experten der Weltbank. In einem internen Papier, das Greenpeace zugespielt wurde und der taz vorliegt, warnt eine gemeinsame Untersuchungskommission von Weltbank und Osteuropabank vor den Gefahren der chronischen Geldknappkeit der ukrainischen Atomindustrie, die ihren Strom an die Endverbraucher fast verschenke. „Nur für 84 Prozent des Atomstroms wird überhaupt bezahlt“, stellt die Kommission fest.
Das hat fatale Konsequenzen. Denn die billigste Lösung zur Sicherung der Stromversorung erscheint, nach Ansicht der Banken, den Leitern der staatlichen Atombehörde Goskomatom auch die beste zu sein. Die Tschernobyl-Reaktoren werden darum „vermutlich bis zur Erschöpfung der Kühl- Kanäle“ (in den Jahren 2000 bis 2003) am Netz bleiben, heißt es in dem Bericht. Darüber hinaus hielten die ukrainischen Behörden eine „Lebensverlängerung dieser Reaktoren um 15 bis 20 Jahre“ durch den Bau neuer Kühlkanäle für möglich.
Als weitere große Gefahr sieht die Kommission die schlechte Bezahlung der Beschäftigten in der Atomindustrie. Von denen wanderten viele nach Rußland ab, um der ukrainischen Armut zu entgehen.
Allerdings halten sich auch die Weltbankexperten in ihrer Einschätzung an die Vorgabe der ukrainischen Regierung, nach der die laufenden Tschernobyl-Reaktoren 1 und 3 nur durch Atomkraftwerke zu ersetzen seien. Auch Block 2, der nach einem Brand abgeschaltet wurde, wird vermutlich bald wieder ans Netz gehen, weil sich die Ukraine eine gewisse Unabhängig von Öl- und Gas-Lieferungen aus Rußland erhalten will.
Der ukrainischen Atom-Euphorie hat sich gestern auch Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) angeschlossen. Er kündigte an, daß drei bereits im Bau befindliche Anlagen des moderneren Typs WWER-1000 mit westlicher Sicherheitstechnik nachgerüstet und beschleunigt fertiggestellt werden sollen. Dabei handele es um den zu 95 Prozent fertiggestellten Block Saporoschje-6 sowie die zu 75 Prozent fertiggestellten Anlagen Rowno-4 und Chmelnitzkij-2.
Für das endgültige Abschalten der Tschernobyl-Blöcke und die Fertigstellung der neuen Kernkraftwerke werden Gesamtkosten von 2,6 bis 2,8 Milliarden Mark geschätzt. Hinzu käme mindestens eine Milliarde Mark für die Sicherung des durchgebrannten Katastrophenreaktors Tschernobyl-4, dessen Betonhülle brüchig ist.
Nach dem Bericht der Weltbankexperten ist der Tschernobyl- Sarkophag „wegen der Staubwolke, die bei einem möglichen Kollaps der Konstruktion frei würde, eine große Bedrohung für ganz Europa“. Zur Zeit finanziere die EU eine Studie darüber, wie der Sarkophag zu reparieren sei. Die Arbeiten, deren Kosten niemand kenne – „wahrscheinlich mehrere hundert Millionen US– Dollar“ –, müßten innerhalb der nächsten zwei Jahre begonnen werden.
Der Bericht der Welt- und Osteuropabanker soll im Juli dem Weltwirtschaftsgipfel in Neapel vorgelegt werden. Die Regierungschefs der G-7-Staaten (USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada) müssen sich darin auch Kritik gefallen lassen: Zwar hätten die G-7-Staaten Geld bereitgestellt (Töpfer sprach gestern von 1,4 Mrd. DM für atomare Sicherheit in Mittel- und Osteuropa), aber nur als Kredite über kommerzielle und internationale Finanzinstitutionen. Damit würde die Hilfe für die Empfänger zu teuer. Zumindest die Reparatur des Tschernobyl- Sarkophags sollte der Westen doch der Ukraine schenken. Donata Riedel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen