„Bin sehr zufrieden mit Ihnen“

■ Jobben auf Zeit – Wünsche nach Tarifgehalt gelten als „überzogen“ / 9,50 Mark brutto für gelernten Schlosser

„Schlosser zu besten Bedingungen gesucht! Festeinstellung sofort! Wöchentlicher Abschlag!“ Gleich acht solcher Stellenangebote in der Berliner Tageszeitung BZ. Sieben dieser Firmen sind Zeitarbeitsfirmen, von denen vier die ausgeschriebenen Stellen bereits vergeben haben. Die anderen drei gleichen sich darin, daß sie am Telefon keine Angaben über die „besten Bedingungen“ machen möchten. Ich müsse schon persönlich vorbeikommen.

Mein erster Besuch gilt einer größeren Verleihfirma, die in Berlin gleich mehrere Anwerbungsbüros unterhält. In der Weddinger Filiale kriege ich anstelle einer Auskunft über Lohn und Arbeitsbedingungen zunächst einen Personalbogen über den Tresen geschoben, in dem ich erschöpfend Auskunft über meine berufliche Laufbahn geben muß. Das Verfahren behagt mir zwar nicht, aber dennoch bleibe ich bei meinen Lohnvorstellungen realistisch und trage in die Rubrik „Gehaltsvorstellungen“ 18 Mark Stundenlohn ein (von dem natürlich dann noch Sozialabgaben und Steuern abgezogen werden).

Eine halbe Stunde muß ich warten. Dann werde ich zum Personalchef gerufen, der mir zu verstehen gibt, daß meine Gehaltsvorstellungen ein „bißchen überzogen“ seien. Für 18 Mark die Stunde könne er zwei Ostberliner einstellen. Und überhaupt weise mein beruflicher Werdegang einige Lücken auf, na ja, aber falls er mal was für mich hätte, würde ich Bescheid kriegen. Selbstverständlich nicht für 18 Mark, wie er schmunzelnd hinzufügt.

Na schön. Schließlich gibt es ja noch andere Firmen. Wenig später sitze ich vor dem Schreibtisch des Personaldisponenten der Charlottenburger Powerflex GmbH. Er heißt Nessel: zweihundert Pfund aus dem Bürosessel quellender Unmut, knarrende Schuhe, stechender Blick. Ja, die Schlosserstelle sei leider schon vergeben, aber ich könne doch fürs erste als Produktionshelfer arbeiten. Neunfünfzig brutto die Stunde und saubere Arbeitsbedingungen bei abwechslungsreicher Tätigkeit. Als er mein Gesicht sieht – ich bin schon am Aufstehen –, offeriert er mir zusätzlich eine steuerfreie Essens- und Fahrtkostenpauschale von 1,80 Mark die Stunde. Gleichzeitig verspricht er mir, mich nach einer vierzehntägigen Probezeit als Schlosser einzustellen. Dann würde ich auch mehr Geld kriegen. Einzige Bedingung: Ich muß sofort verfügbar sein.

Zufrieden bin ich nicht. Aber ich brauche dringend Arbeit. Also unterschreibe ich den Arbeitsvertrag als Produktionshelfer. Mein Einsatzort ist eine Maschinenbaufabrik im Süden Berlins. Dort finde ich mich am nächsten Morgen ein. Man arbeitet Akkord. Blechteile werden gestanzt, geformt und montiert. Der Vorarbeiter gibt mir eine Schäferkiste mit verchromten Stahlwalzen, die in Grundplatten gepreßt werden müssen. Keine schwere, aber eine stupide Arbeit.

Ich bin nicht der einzige Leiharbeiter. Außer mir arbeiten noch zwölf andere, vorwiegend aus dem Osten stammende Powerflex- Leute in der Fabrik. Der älteste Kollege ist fünfundfünfzig und gelernter Maschinenschlosser. Er ist seit zwei Jahren bei Powerflex und verdient trotz seiner vierzigjährigen Berufserfahrung gerade mal 12,88 Mark die Stunde. In seinem Alter, sagt er, kann er froh sein, überhaupt noch einen Job zu kriegen. Und das läßt ihn Powerflex auch spüren: Wenn er nach einer Gehaltserhöhung frage, erzählt er mir, rieten sie ihm kaltlächelnd, sich doch woanders einstellen zu lassen.

Ich bemühe mich, schnell und ordentlich zu arbeiten, weil ich die beunruhigende Fluktuation unter meinen Kollegen sehe. Manche fliegen bereits nach einer Stunde wieder raus. Ein Leiharbeiter darf maximal bis zu sechs Monate beschäftigt werden. Das Vertragsverhältnis zwischen Powerflex und der Entleiherfirma besagt, daß die Fabrik das Recht hat, Leiharbeiter jederzeit und ohne Angabe von Gründen zurückzuschicken. Wir hingegen haben so gut wie keine Rechte. Uns bietet die Fabrik ein „Zuckerbrot“ an: Sie stellt den Eifrigsten die Möglichkeit einer Festanstellung in Aussicht.

Nachdem ich zwei Wochen in der Fabrik bin, kommt der Meister zu mir: „Gefällt mir, wie Sie arbeiten. Bin sehr zufrieden mit Ihnen“, sagt er. „Ich muß in den nächsten Tagen ein paar Leute von ihrer Firma wegschicken, aber Sie werde ich behalten.“ Auf die Frage, was denn mit meinen Kollegen geschieht, zuckt er bloß mit den Schultern. Das sei das Problem von Powerflex. Peter Lerch