Geheiratet wird normalerweise in der Kirche Von Ralf Sotscheck

Damals fand ich die Idee noch gut. „Wenn Ihr schon aus Steuergründen heiratet, dann tut es doch am 24. Juni, wenn Irland gegen Mexiko spielt“, hatte ich meinen Freunden John und Anne vor ein paar Monaten vorgeschlagen. „Dann gibt es einen doppelten Grund zum Feiern.“ Das leuchtete ihnen ein, und sie ernannten mich dafür zum Trauzeugen. Freilich war ich davon ausgegangen, daß die Formalitäten zu Spielbeginn erledigt sein würden und man es sich im Pub vor dem Großbildschirm bequem machen könnte. Doch weit gefehlt.

Die Hochzeitsvorbereitungen entwickelten eine Eigendynamik, nachdem die katholische Verwandtschaft des Brautpaares Wind von der Sache bekommen hatte. So wurde die Eheschließung, die ursprünglich nur der Ausgangspunkt für ein Gelage vor dem Fernseher sein sollte, zusehends formalisiert. Ein Festessen im Restaurant, so hieß es, müsse man den Verwandten schon bieten. Die 30köpfige Hochzeitsgesellschaft traf sich in der Bar des benachbarten Hotels. Anderthalb Stunden vor dem Anpfiff in Orlando zwängten sich die Gäste vor den Schreibtisch des Standesbeamten. Der war in Eile. „Ich habe einen weiten Heimweg“, sagte er entschuldigend. „Deshalb muß es ruckzuck gehen, damit ich zum Anstoß zu Hause bin.“ Er schaffte die Zeremonie in sieben Minuten.

Aufgrund der Rekordzeit war es für das Restaurant viel zu früh – also zurück zur Hotelbar. Dort trafen wir die Mutter der Braut: Sie war noch mit ihrem Gin and Tonic beschäftigt und hatte den Kurzausflug zum Standesamt verpaßt. Inzwischen strömten immer mehr grüngekleidete Fußballfans in die Bar, weil in der Ecke ein Riesenfernseher stand. Die Panik, die sich unter ihnen breitmachte, weil wir die besten Plätze besetzt hatten, konnte ich im Keim ersticken. „Wir müssen gleich weg ins Restaurant“, sagte ich neidisch, worauf sie mich für komplett verrückt erklärten, mir aber zum Trost einen dreifachen Whiskey ausgaben.

Dublin war wie eine Geisterstadt. Bei unserer Ankunft im Restaurant sah ich auf den ersten Blick, daß der Koch uns haßte, weil er unseretwegen auf das Fußballspiel verzichten mußte. Uns ging es freilich nicht viel besser. Zwar hatte John, der Bräutigam, einen tragbaren Fernseher aufgetrieben und aus mehreren Tischen ein Podest gebaut, doch aus der Entfernung war der Bildschirm kaum größer als eine Briefmarke. Zudem wackelte das Bild jedesmal, wenn die Kellnerin an der Notantenne vorbeilief. Kurz nach dem 1:0 für Mexiko wurden die Vorspeisen serviert. „Es ist doch völlig schnuppe, wer die Suppe bestellt hat“, brüllte Onkel Joe die Kellnerin an. „Stell den Teller irgendwo hin, und geh aus dem Bild.“ Es merkte ohnehin niemand, was auf die Teller kam, weil alle seitlich zum Fernseher hochblickten und die Speisen mechanisch in sich hineinschoben. Onkel Joe hatte seine Serviette in kleine Häppchen zerschnitten. Das 2:0 fiel beim Hauptgang, die Kellnerin ging sofort in Deckung. Beim irischen Anschlußtreffer saß ich auf der Toilette. Das wertete ein abergläubischer Hochzeitsgast als Omen und schickte mich in den verbleibenden sechs Spielminuten noch dreimal aufs Klo. Es half nichts, die Iren verloren. Zur Analyse nach dem Spiel saßen wir endlich in der Kneipe vor dem Großbildschirm.