Täterbilder

■ "Da war ich der Stärkere - Gespräche mit Vergewaltigern", 21.45 Uhr, West 3

In der Hierarchie der verabscheuungswürdigsten Verbrechen stehen Vergewaltigungen ganz oben. Im Gegensatz zum Mörder, dem klassischen Helden, gibt der Vergewaltiger keinerlei Fläche zur Identifikation ab. Edle Vergewaltigungen gibt es nicht. Deshalb und weil zu viele real und nicht nur imaginär betroffen sind – im Prinzip jede Frau ein potentielles Opfer, jeder Mann ein potentieller Täter ist –, verweigern sich Vergewaltiger eigentlich ihrer Medialisierung. Um so wichtiger ist es vielleicht, über sie einen Film zu machen. Ein solches Unternehmen erfordert Fingerspitzengefühl: Die Nähe zu den Protagonisten, eigentlich Grundvoraussetzung jedes guten Filmfeatures, verbietet sich. Sabine Zurmühl verweigert sie den fünf Vergewaltigern, die sie im Knast interviewt hat. Knapp sind die Fragen an Horst, Bodo, Harro, Udo und Arne, die als Wiederholungstäter zwischen drei und acht Jahre im Gefängnis sitzen. Sie fragt nach dem Tathergang, wie die Delinquenten sich dabei gefühlt und was sie sich dabei gedacht hätten. „Das wußten Sie doch, daß das nicht richtig ist.“ Die Lebensgeschichte, das soziale Umfeld der Vergewaltiger interessiert sie kaum.

So bleiben die Männer merkwürdig anonym; sie wirken wie Material, das die Autorin vorgeführt bekommt (die Gespräche finden im Knast statt) und vorführt. Oft hat man das Gefühl, daß die Vergewaltiger genau das erzählen, was ihnen Therapeuten als Erklärungsmuster anbieten, oder willfährig zu sagen versuchen, was die Filmerin von ihnen erwartet. Horst hat vergewaltigt, um seiner Familie zu zeigen: „Ich kann auch was“: Michael wollte beweisen, daß er besser und stärker ist, Harro spricht von seinem „allgemeinen Haß auf Frauen auf Grund vorheriger Erlebnisse“ („auf Grund der Haft habe ich eine andere Einstellung bekommen“). An die Frauen, die sie vergewaltigten, können sie sich meist nicht mehr erinnern.

Sabine Zurmühlen läßt die Vergewaltiger von Therapeuten interpretieren. Vergewaltigern ginge es nicht so sehr um Sex, sondern vor allem um Macht. Im Gegensatz zum Schläger strebe der Vergewaltiger nicht nur danach, den Körper des anderen zu bestimmen, sondern vor allem nach der Macht über die Lust der Frau, erklärt ein Therapeut. Oft zwinge er sein Opfer zu beteuern, daß sie Lust empfinde. Eine tiefsitzende Frauenfeindlichkeit könne man bei allen konstatieren; Idealbild und Selbstbild lägen extrem weit auseinander. Meist verdrängten sie ihre Tat später auch vor sich selbst. Oft kämen sie am nächsten Tag mit Blumen zu ihrem Opfer, als sei nichts geschehen. Ziel der Therapien sei es, den Vergewaltigern Verantwortungsgefühl beizubringen und sie dazu zu bringen, sich mit ihrer Tat zu identifizieren. Eine Therapeutin will den Tätern klarmachen, daß sich Menschen nicht nur in Bestimmer und Bestimmte unterscheiden.

Vergewaltiger leben nicht abgeschlossen in ihrer Welt; das Frauenbild, das viele Medien entwerfen, die Mystifizierung von Sexualität, die allerorten zur Absatzsteigerung betrieben wird, entspricht oder unterstützt ihre Vorstellungen vom Menschen als zu benutzender Ware. Glücklicherweise vermeidet Sabine Zurmühl das Naheliegende, also die patriarchalische Gesellschaft generalisierend für Vergewaltigungen verantwortlich zu erklären und damit die Unterschiede zwischen potentiellen und realen Vergewaltigern zu verwischen. Nur selten wird ihr Film pathetisch; wenn sie zum Beispiel eine weiße Strickjacke, auf die Blut tropft, zwischen die Interviews schneidet. Im allgemeinen bleibt sie bewundernswert sachlich.

Die Bilder von Vergewaltigern, die der Film liefert, sind vielleicht notwendig unkonkret. Sie kennzeichnen nicht nur Vergewaltiger. Am Ende des Films erzählt Bodo, daß er in seinen Liebschaften regelmäßig alles daran setze, die Frau zu verletzen, damit die Beziehung ein Ende findet. Die Unfähigkeit zur Bindung trifft wahrscheinlich nicht nur auf viele Männer, sondern auch auf Frauen zu. Detlef Kuhlbrodt