■ Das Portrait
: Jean-Luc Dehaene

Eigentlich wollte Jean-Luc Dehaene vor drei Jahren den Brocken hinschmeißen. Wenige Tage nach der Parlamentswahl, die für seine Christelijke Volksparij (CVP) nicht gut ausgegangen war, teilte er dem Parteichef mit, daß er als Vizepremierminister nicht weiter zur Verfügung stünde. Er habe die Politik satt und werde sich ins Private zurückziehen.

Der Parteichef warf Dehaenes Rücktrittsgesuch in den Papierkorb und beauftragte ihn statt dessen mit dem Knochenjob, aus den Trümmern der vormaligen Regierungsparteien eine neue Koalition zu bilden. Gegen alle Wetten schaffte es Dehaene, die in eine flämische und eine wallonische Partei zerstrittenen Christdemokraten und Sozialisten zu einer Viererkoalition zusammenzubinden. Sein Meisterstück war dann, mit dieser Koalition eine Verfassungsreform durchzubringen, die Belgien vom Zentralstaat zur Föderation umwandelt.

Kohl und Mitterrand entdeckten das 53jährige Polit- Talent 1993, als Belgien im Ministerrat die Geschäfte führte. Dehaene, international bis dahin ein unbeschriebenes Blatt, überzeugte vor allem durch sein Verhandlungsgeschick und durch die Hartnäckigkeit, mit der er Mehrheiten für seine Kompromisse erarbeitete.

Nominell ist Dehaene ein Konservativer. Nach dem Abitur auf dem Jesuitengymnasium studierte er Wirtschaftswissenschaften und Jura, engagierte sich als Kommissar in der flämischen katholischen Pfadfindervereinigung und ließ sich danach zum Vizepräsidenten der Jugendorganisation der Christlichen Volkspartei wählen. Aber Dehaene ist auch Gewerkschafter, geprägt durch Macher ohne politische VisionenFoto: Reuter

die katholische Arbeiterbewegung. Die christlichen Gewerkschaften sind in Belgien nicht nur größer, sondern gelegentlich auch radikaler in ihren Forderungen als die sozialistischen Gewerkschaften. Auch die Christliche Volkspartei weist in wirtschaftspolitischen Punkten eine erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Programm der deutschen Sozialdemokraten auf.

Dehaene hat kein ausgeprägtes politisches Profil. Ein kühler Macher, der unter Politik vor allem Schlichten versteht. Visionen sind ihm eher verdächtig. Er ist jemand, der die politischen Geschäfte vorwärtsbringen will, ohne den Ehrgeiz, die Richtung mitzusteuern. Auf die Frage nach seiner Vision von Europa meinte Dehaene, zu inhaltlichen Fragen wolle er noch nichts sagen. „Die Diskretion muß gewahrt bleiben.“ Alois Berger