■ EU-Gipfeltreffen in Korfu: John Major legt sich quer
: Angst vor den Elefanten Europas

Was Europa nicht umbringt, macht es nur noch härter. Vor zehn Jahren hat Margaret Thatcher mit sturem Veto erfolgreich verhindert, daß der französische Außenminister Claude Cheysson zum Präsidenten der Europäischen Kommission in Brüssel gewählt wurde. Im zweiten Durchgang mußte sie dann dem erhöhten Druck der anderen Regierungschefs nachgeben und dem französischen Wirtschafts- und Finanzminister Jacques Delors zustimmen. Ein Eigentor, wie sich im nachhinein herausstellte. Delors hat die Kommission zu einer treibenden Kraft ausgebaut und die europäische Integration weiter vorangebracht, als Maggie Thatcher in den schlimmsten Träumen befürchtet hatte.

John Major bleibt seiner Übermutter treu. Mit seinem Veto gegen den belgischen Premierminister hat er sich ohne Not in eine Position manövriert, in der er nur verlieren kann. Selbst wenn die anderen elf Regierungen auf Jean-Luc Dehaene als künftigen Kommissionspräsidenten verzichten sollten, ist es schwer vorstellbar, daß sie sich auf einen Wunschkandidaten Londons einigen, wie immer der heißen mag. Zu tief sitzt der Stachel. Major hat sie aus Gründen, die in allererster Linie mit seinen Schwierigkeiten zu Hause zu tun haben, in die Bredouille geritten. Da hatten sie so eine schöne Feier mit Jelzin und mit den Beitrittskandidaten, da hatten sie sogar eine ganze Reihe von Papieren über Beschäftigungspolitik verabschiedet, in denen zwar wenig Neues stand, die aber doch beim einen oder anderen den Eindruck erwecken könnten, die Regierungen meinten es ernst mit dem gemeinsamen Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Und dann steht in allen Schlagzeilen wieder nur das häßliche Wort: Scheitern.

Dabei hat Major den europäischen Regierungschefs mit seiner Sturheit wieder einmal den Gefallen getan, einen viel tiefer sitzenden Konflikt zu übertünchen. Die wütenden Reaktionen der niederländischen, aber auch der italienischen, spanischen und portugiesischen Premier- und Außenminister auf den deutsch-französichen Einsatz für Dehaene lassen sich nicht allein mit der Art und Weise begründen, mit der Kohl und Mitterrand den Kandidaten aus dem Hut zauberten. Paris und Bonn haben dabei nicht unbedingt Fingerspitzengefühl bewiesen, aber sie haben den anderen sicher auch kein „Diktat“ und auch keinen „Gipfel der Unverschämtheiten“ präsentiert.

Da wurden andere Ängste wachgerufen. Die demonstrative deutsch-französische Vorabstimmung bei wichtigen Themen hat Befürchtungen geweckt, von den beiden Elefanten in der Mitte Europas dominiert zu werden. Vor allem Außenminister Kinkel hat sich so in sein Konzept des deutsch-französischen Tandems verliebt und läßt auch keine Möglichkeit aus, mit Schmacht in den Augen von seinem engen Bund mit Juppé zu schwärmen, daß den anderen zwangsläufig schwummrig wird. Die Europäische Union hat zwölf Mitglieder, nicht zwei plus zehn.

Das krasseste Beispiel diplomatischer Gefühlstaubheit ist die Abstimmung bei der Präsidentschaft im Ministerrat. Der Ratsvorsitz ist in erster Linie eine organisatorische Aufgabe, die gerade deshalb im Halbjahresrhythmus von Land zu Land weitergegeben wird, damit keiner zu viel Macht bekommt. Seit Wochen trompetet nun Kinkel durch die Lande, daß Deutschland und Frankreich ihre Präsidentschaften, die ab Juli unmittelbar aufeinander folgen werden, der größeren Effizienz wegen zusammenbinden. Weil man in einem halben Jahr so wenig Bleibendes schaffen kann, wollen Kinkel und Juppé eine Art ganzjähriger Doppelpräsidentschaft machen.

Das ist in einigen Bereichen sicher sinnvoll, zum Beispiel bei der Vorbereitung der Regierungskonferenz 1996, bei der die Maastrichter Verträge überprüft und eventuell generalüberholt werden sollen. Aber es hätte auch in Bonn und Paris bekannt sein müssen, daß es in einem Zwölfer-Club nicht reicht, den anderen nachträglich mitzuteilen, was zwei ausgeheckt haben.

Ob das Gewitter von Korfu in Bonn und Paris richtig gedeutet wird, ist noch offen. Kohl hat zum Ende der Veranstaltung – ob Durchblick oder Instinkt – nur noch von einer engen Abstimmung der deutschen Präsidentschaft mit den nachfolgenden Ratsvorsitzenden gesprochen und dabei die Italiener und die Spanier ausdrücklich miteinbezogen. Was Kinkel denkt, ist immer schwer zu sagen, solange der Kanzler in der Nähe ist und seinen breiten Schatten über ihn legt.

Die Nagelprobe steht in drei Wochen ins europäische Haus, wenn in Brüssel ein neuer Anlauf genommen wird, einen Nachfolger für Delors auszuloben. Es gibt Hinweise, daß Major hart bleiben und Dehaene weiterhin ablehnen wird. Da werden elf Regierungschefs einen Kompromißkandidaten ausgraben, der eine Kröte für London sein wird. Aber acht Regierungschefs werden darauf aufpassen, daß es auch nicht der Prinz wird, den Kinkel und Juppé gerne küssen würden. Alois Berger, Korfu