Als hätten sie sich in der Tür geirrt

Oh, là là, wunderbar: Wider den schicken Akademismus – Mit der deutschen Erstaufführung von „C'est magnifique“ gastierte die französische Compagnie Deschamps & Deschamps eine Woche lang im Berliner Hebbel-Theater  ■ Von Katja Nicodemus

„Es gibt nichts Schrecklicheres als Theater, das fürs Theater gemacht wird“, meint Jerôme Deschamps, während eine Hotelangestellte verzagt um seinen Sessel herumsaugt. Verschwörerisch verkündet sie, den Rest der Sitzecke für heute ungesaugt zu lassen, und Deschamps freut sich. „Am Anfang hat man uns vorgeworfen, wir machten kein richtiges Theater, hätten unsere Schauspieler auf der Straße aufgesammelt. Was wir zeigten, paßte nicht zum schicken Akademismus drum herum.“ Seit nunmehr zwanzig Jahren türmt Deschamps, der aussieht, als sei er schon mit Halbglatze geboren worden, unerbittlich seine abgerissenen, verkorksten und verrosteten Welten auf die Bühne, mal als schmieriges Restaurant, mal als Schrottplatz, mal als Kleingartenkolonie, oder, wie jetzt in Berlin, als labyrinthische Baustelle. Stets verteilen sich Ansammlungen verschlissener Gegenstände im Raum, chaotische Ensembles, wie von einem Spektakel zum nächsten geschaufelt. In ihrer geballten Präsenz formieren sich die Zieh- und Schubkarren, Fliegenfänger, Töpfe, alten Kisten, Teller, Stühle, Tische, Zeitungen, Flaschen, Plastikpflanzen und ausgestopften Tiere zu melancholischen Stilleben, erzählen vom Verschwinden der einstigen Benutzer, deren Spuren sie als Reliquien des Alltags konservieren. Als hätten sie sich in der Tür geirrt, betreten Deschamps Gestalten abrupt die Szenerie. Ein Haus in der Provinz soll renoviert werden, das Material wird von einer benachbarten Baustelle geklaut. Bereits nach den ersten Sekunden, in denen eine halbe Tonne Putz von der Decke kracht, ist klar: Das Gebäude wird den engagierten Arbeitseinsatz von Monsieur Morel, seinem Schwager und ein paar Hilfsarbeitern nicht überleben.

Unablässig wird geschimpft, geprotzt und gestritten, unablässig scheitert man im breitesten Provinzfranzösisch an der Sperrigkeit der Worte, die sich wie mit Widerhaken zu ungelenken Sätzen verkanten. Verzweifelt wiederholt Morel immer wieder „Tekutupa“, erst später kapieren seine Kompagnons den Sinn der Lautfolge („T'écoutes ou pas“ – hörst du zu oder nicht). Ruppig, rechthaberisch und rührend balanciert der Haufen zwischen subversivem Großkotz und kleinkariertem Spießertum, eng verwandt mit den Bewohnern eines kleinen gallischen Dorfes, diversen Stummfilmhelden und den Endzeitfiguren Becketts. „Man fühlt sich ihnen nah und kann ihnen nichts übelnehmen. Aber sie sind auch unerträglich und beschränkt, diese kleinen Chefs, die nach unten treten, die Araber verachten und völlig von sich überzeugt sind“, meint Jerôme Deschamps über seinen seltsamen Trupp, der tagtäglich auf dem Privatsender Canal plus die halbe Nation mit brutalen Vignetten über Arbeitslosigkeit und Familiensumpf verunsichert. „Eine wahrhaft pubertäre Freude“ stellt sich bei Deschamps ein, wenn er dieses schlechtangezogene, staubige, schlichte Pack aufs Theater bringen kann, „wo sonst alles so schön und vergoldet ist“. Dabei begann er selbst seine Laufbahn an der Hochburg konventionellen französischen Theaters, der altehrwürdigen Comédie Française, die er nach drei Jahren „mit einem ziemlichen Krach“ verließ. Seitdem erzählt er, gemeinsam mit seiner Koautorin Macha Makeieff, ausgebildeten Schauspielern, ehemaligen Nachtwächtern und im Theater gestrandeten Versicherungsangestellten, „Entscheidendes mit Nichts, ausgehend von einer winzigen, privaten, verletzlichen Empfindung, die auf der Bühne universell wird. Dabei versuchen wir, von der Traurigkeit der Welt zu sprechen, indem wir die Leute zum Lachen bringen.“

Szenische Symphonien aus Geräuschen, Gegenständen, Sprache, Musik und Bewegung orchestriert Deschamps mit dem fröhlichen Sadismus des Grand Guignol, dem Tempo Georges Feydeaus und einer Zärtlichkeit, die an Jacques Tati erinnert, seinen Onkel, der ihn bei einigen Gläsern Wein in die „Kunst der natürlichen Komik“ einführte. Ähnlich wie beim ewig gegen die Tücke des Objekts kämpfenden Monsieur Hulot bewirkt die bloße Anwesenheit von Deschamps' Figuren den Aufstand der Dinge. So kulminiert „C'est magnifique“, trotz des akrobatischen Einsatzes der Figuren, die sich herabregnender Teller, niedersausender Bretter und explodierender Butangasflaschen, überrascht von ihrer eigenen Geschicklichkeit, erwehren, im unausweichlichen, horizonterschütternden Zusammenbruch. Zwischen den Katastrophen harrt Madame Yolande des Lebens und der Liebe. Vor einem Huhn im Einkaufswagen tanzt sie mit vorgestrecktem Bauch zu alten Schlagern, singt, begleitet vom Chor der verkrachten Existenzen, ihren unwiderstehlichen Refrain: „Hier ist das Leben, es nimmt uns in den Arm, oh, là, là, das ist wunderbar.“

Vom 1. bis 5. Juli gastieren Deschamps & Deschamps mit „C'est magnifique“ bei den Schloßfestspielen in Schwerin