„Von Demokratie kann keine Rede sein“

■ In Ankara gründete sich die kurdische „Demokratiepartei des Volkes“ (Hadep)

Istanbul (taz) – Trotz des Verbots der kurdischen „Arbeitspartei des Volkes“ und der Festnahme von sechs kurdischen Abgeordneten des türkischen Parlamentes, denen wegen „Landesverrat“ vor dem Staatssicherheitsgericht Ankara der Prozeß gemacht wird, sucht die kurdische Opposition nach einer Möglichkeit, ihren Interessen auf einer legalen Plattform Ausdruck zu verleihen. Am Sonntag fand in Ankara der erste Parteikongreß der „Demokratiepartei des Volkes“ (Hadep) statt, die die Nachfolge der vom Verfassungsgericht nacheinander verbotenen „Arbeitspartei des Volkes“ (HEP) und der „Partei der Demokratie“ antreten wird. Über zehntausend Menschen – überwiegend Kurden, die im Westen der Türkei leben – feierten im Atatürk-Sport- Palast in Volksfeststimmung die Parteigründung.

Aufgrund befürchteter Repressionen waren kaum Delegierte aus den kurdischen Provinzen erschienen. Ein Delegierter aus Kurdistan wäre Zielscheibe der Todesschwadronen, die im Rahmen des faktischen Krieges zwischen türkischer Armee und kurdischer Guerilla PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) die Drecksarbeit erledigen und kurdische Zivilisten, die der PKK zwar nahestehen, aber sich nicht am bewaffneten Kampf beteiligen, ermorden. Ein Transparent im Sportpalast zeigte Portraits ermordeter Funktionäre der verbotenen „Partei der Demokratie“ – darunter der Parlamentsabgeordnete Mehmet Sincar. Die politische Ausrichtung der Partei offenbarte sich, als der Strom für wenige Minuten ausfiel und in der Dunkelheit die Parolen angestimmt wurden „Freiheit für Kurdistan“ und „Die Guerilla schlägt zu und errichtet das freie Kurdistan“. Murat Bozlak, der neue Parteivorsitzende, forderte die türkischen Politiker zur radikalen Abkehr von ihrer Kurdistan-Politik auf: „Selbst bescheidene demokratische Forderungen beantwortet der Staat mit Gewalt.“ Bozlak wies darauf hin, daß eine Reihe von Intellektuellen und Gewerkschaftern aufgrund ihrer Äußerungen im Gefängnis sitzen: „Von Demokratie kann keine Rede sein.“

Die Hadep fordert einen Dialog der Staates mit den Kurden. Auch die PKK könne nicht abgedrängt werden. Der Delegierte Necmi Aksoy formulierte: „Der Generalsekretär der PKK hat zum Ausdruck gebracht, daß er in der Türkei legal Politik machen will. Die Verantwortlichen in der Türkei müssen dies ernst nehmen.“

Doch der türkische Staat, der auf die „militärische Lösung“ der Kurdenfrage gesetzt hat, erkennt noch nicht einmal die legalen Parteien, die die Kurden gegründet haben, als Dialogpartnerinnen an. Vier Abgeordnete der verbotenen „Partei der Demokratie“ mußten aus dem Gefängnis heraus Grußbotschaften an den Kongreß schicken. Seit fast vier Monaten befinden sich sechs kurdische Abgeordnete in Untersuchungshaft, nachdem das türkische Parlament Anfang März ihre Immunität aufgehoben hatte. Am 3. August wird vor dem Staatssicherheitsgericht Ankara der Prozeß gegen sie eröffnet. Der Oberstaatsanwalt des Staatssicherheitsgerichtes Ankara, Nusret Demiral, fordert wegen „Landesverrat“ die Todesstrafe gegen die Parlamentarier. Sechs Abgeordnete der „Partei der Demokratie“ schickten Grußbotschaften aus dem europäischen Ausland. Ihre Partei wurde am 16. Juni verboten, als sie sich außerhalb der Türkei befanden. Der Oberstaatsanwalt des Staatssicherheitsgerichtes Ankara hat eine Fahndung ausgeschrieben und fordert ihre Auslieferung an die Türkei.

Von den 13 ehemaligen Abgeordneten der „Partei der Demokratie“ konnten nur zwei am Kongreß teilnehmen – die restlichen befinden sich im Gefängnis oder sind nach Brüssel geflüchtet. Doch auch die Abgeordneten Selim Sadak und Sedat Yurtdas sind keineswegs sicher. Der Oberstaatsanwalt des Staatssicherheitsgerichtes hat ihre Festnahme angekündigt. Türkische Fernsehteams begleiten die beiden Abgeordneten rund um die Uhr, um ihre Festnahme zu dokumentieren. Staatsanwalt Nusret Demiral will sie unbeobachtet festnehmen lassen: „Ich werde nicht zulassen, daß sie eine Show veranstalten und zu Helden werden.“

Für den türkischen Parlamentspräsidenten besteht die Immunität der beiden Abgeordneten fort, solange keine schriftliche Urteilsbegründung des Verfassungsgerichtes zum Verbot der „Partei der Demokratie“ vorliegt. Offensichtlich hat die Polizei auch vom Innenministerium die Anweisung erhalten, noch keine Festnahme durchzuführen. Zum Eklat kam es, als Staatspräsident Süleyman Demirel am Freitag die beiden kurdischen Abgeordneten, die Oberstaatsanwalt Demiral festnehmen lassen will, empfing. Denn der berüchtigte Oberstaatsanwalt Demiral, der seit Jahren „Staatsfeinde“ jagt, agiert wie ein Staat im Staate. Er schrieb jüngst Gedichte nach dem Tod seines Hundes Goldi. Er kanzelte eine Journalistin ab, die wissen wollte, ob er die Nachsicht gegenüber Goldi auch gegenüber den inhaftierten kurdischen Abgeordneten, denen die Todesstrafe droht, zeigen werde. „Die Abgeordneten sind doch keine Hunde. Warum sollte ich Vaterlandsverrätern gegenüber Verständnis aufbringen?“ Ömer Erzeren