: Billigstlösung mit offenem Ende
■ Morgen endet Abschiebestopp für Kurden in Hamburg Von Sannah Koch
Ab morgen müssen KurdInnen in Hamburg wieder um Leib und Leben fürchten – dann läuft der vom Senat befristet verhängte Abschiebestopp aus. Eh nur eine „Billigst-Lösung“, wie die GAL-Abgeordnete Anna Bruns die Anordnung gestern bezeichnete. Die übrigen SPD-regierten Länder hatten den Stopp zumeist für sechs Monate verhängt; Hamburgs Innensenator Werner Hackmann hatte sich zunächst mit dem Hinweis gesperrt, er wolle eine bundeseinheitliche Lösung, bevor er dann doch eine fünfwöchige Pause anordnete.
Ob es in Hamburg eine Verlängerung des Abschiebstopps geben wird, hängt von einem Bericht des Auswärtigen Amtes ab. Gemeinsam mit seinen Amtskollegen wird Hackmann sich morgen vom Kanzler, Innenminister Kanther und Außenminister Kinkel über die Lage der kurdischen Bevölkerung in der Westtürkei informieren lassen. Eine Abschiebung dorthin sei unproblematisch, so lautet bislang die Bonner Devise, da KurdInnen dort vor Verfolgung sicher seien.
Hamburgs Innenbehörde führte aber auch andere Gründe für ihre zögerliche Haltung an: Eine Verlängerung des Abschiebestopps im Alleingang und ohne Zustimmung des Bundes, den die GAL morgen in der Bürgerschaft beantragen wird, sei rechtlich nicht zulässig. „Stimmt nicht“, sagt Anna Bruns unter Verweis auf ein Gutachten des Gießener Rechtswissenschaftlers Brun-Otto Bryde. Der untersuchte im Auftrag der hessischen Landesregierung das Ausländergesetz auf die Handlungsspielräume der Bundesländer. Sein Fazit: Ein Abschiebestopp kann von den Ländern ohne Zustimmung des Bundes verlängert werden, wenn neue Tatsachen zur Verletzung der Menschenrechte vorliegen; eine solche Verordnung sei auch ohne förmliche Befristung möglich.
Bryde geht noch weiter: Der Verweis eines Bundeslandes darauf, daß die Prüfung politischer Abschiebehindernisse auschließlich dem Bundesamt obliege, sei rechtswidrig. Vielmehr seien die Länder verpflichtet, neue Tatsachen zu überprüfen, wenn sie für die Entscheidung relevant sein können.
Wie zum Beispiel den jüngsten Bericht von amnesty international? Die Organisation erklärte vergangene Woche, daß „die Situation in der Türkei sich stündlich verschärft“. Jede Woche würden mehr Menschen wegen vermeintlicher „pro-kurdischer Propaganda“ hinter Gitter gebracht, die Morde und die Zahl der „Verschwundenen“ stiegen ebenso wie Meldungen über Folter in Polizeihaft. Angesichts dessen, so Anna Bruns, sei der Interpretationsbedarf, den Hackmann an den Bericht des Auswärtigen Amtes knüpfe, „ein Armutszeugnis und Zeichen politischen Vasallentums“.
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