Bremens Arme sparen 15 Millionen ein

■ Senat beschloß Nullrunde der Sozialhilfe / Zum zweiten Mal kein Inflationsausgleich

„Die Erhöhung der Sozialhilfe ist ein wichtiges sozialpolitisches Signal!“ Genau ein Jahr ist es her, daß sich Bürgermeister Klaus Wedemeier mit dieser Botschaft an die Presse wandte. Damals hatte der Senat gerade die Erhöhung des Bremer Sozialhilfe-Regelsatzes um insgesamt 10 Mark im Jahr 1993 beschlossen. Als „sozialpolitisch eigentlich skandalös“ bezeichnete Sozialsenatorin Irmgard Gaertner dagegen gestern, was der Senat gerade für das Jahr 1994 beschlossen hatte: Eine Nullrunde für die fast 50.000 Bremer SozialhilfeempfängerInnen.

Zu Beginn der Senatssitzung hatte eine kleine Gruppe von DemonstrantInnen auf diesen Widerspruch der bremischen Politik hingewiesen – ohne Erfolg. Die Ablehnung jeglicher Erhöhung der Sozialhilfe hat der Senat auf Antrag der Sozialsenatorin gestern einstimmig beschlossen.

Bei der bundesweiten Neuregelung der Sozialhilfesätze war 1992 eigentlich die jährliche Erhöhung entsprechend der allgemeinen Preissteigerung vereinbart worden. Doch bereits im letzten Jahr hatte die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats die Erhöhung auf maximal zwei Prozent begrenzt – trotz einer Inflationsrate von 3,6 Prozent. In diesem Jahr wollte die Bundesregierung sogar eine Nullrunde verordnen. Das scheiterte lediglich am Widerstand der SPD-regierten Bundesländer, die zumindest eine Erhöhung im erwarteten Umfang der allgemeinen Lohnerhöhung durchsetzten. Die wird für 1994 allerdings nur auf 0,2 Prozent veranschlagt. Für die bremische Sozialhilfe hätte das eine Erhöhung um eine einzige Mark pro Monat bedeutet.

Nun soll noch nichtmal – wie in den meisten anderen Bundesländern – dieser Mini-Betrag ausgezahlt werden. „Zynisch“ fand das gestern die kleine Protestdemonstration vor dem Rathaus. Dem widerspricht auch die Sozialsenatorin nicht, ergänzte aber: „Dieser Zustand paßt ins Bild der allgemeinen Entwicklung in der Republik.“ Immerhin gehöre Bremen weiterhin mit seinem Regelsatz von 521 Mark unter allen Bundesländern zu den drei Spitzenreitern. Die „Schlußlichter“ liegen mit 520 Mark allerdings bereits fast gleichauf.

Die Zahl der BremerInnen, die von diesem Monats-„Einkommen“ – für eine alleinerziehende Mutter mit siebenjährigen Kind mit allen Zulagen rund 900 Mark plus Mietkosten – leben müssen, wird immer größer. Bereits im ersten Quartal 1994 waren 700 Sozialhilfe-EmpfängerInnen mehr gezählt worden als im Durchschnitt des vergangenen Jahres. „Das liegt vor allem daran, daß am 1.4. durch eine Neufassung des Arbeitsförderungsgesetzes vielen ehemaligen Referendaren und kurzzeitig Beschäftigten die Arbeitslosenhilfe gestrichen wurde“, vermutet Martin Lühr von der Arbeitsgemeinschaft arbeitsloser BürgerInnen (AGAB).

Wären die ursprünglichen Zusagen für die laufende Sozialhilfe-Erhöhung entsprechend der Inflationsrate eingehalten worden, müßte der Regelsatz heute bereits um 29 Mark höher als die gestern für ein weiteres Jahr festgeschriebenen 521 Mark liegen. Durch diesen unfreiwilligen Verzicht sparen Bremens SozialhilfeempfängerInnen dem Staat jedes Jahr rund 15 Millionen Mark. Ase