Sanssouci: Vorschlag
■ Becketts „Film“ mit Buster Keaton im Freilichtkino
Es war Becketts einziger und Keatons letzter Flirt mit dem Kino und hieß lapidar „Film“. Daß ausgerechnet diese zweimal zusammenarbeiten würden, hätte man auch nicht gedacht, arbeiteten sie doch mit Genres, die Lichtjahre voneinander entfernt zu liegen scheinen. Und doch ist Becketts herausragendes Lebenswerk, sein Humor der kleinen Gesten, ohne die großen Komiker aus der Frühzeit des Films gar nicht vorstellbar: So ist es also kein Wunder, daß Beckett 1964 in New York eine Ikone der american screen comedy für sein philosophisches Filmtraktat anheuerte. (Eigentlich hatte er Charlie Chaplin haben wollen. Doch der war für experimentelle Mätzchen nicht available.) Auch Buster Keaton hatte Bedenken, aber gleichzeitig auch horrende Spielschulden – was ihm einen letzten Auftritt und uns diese einzigartige Filmarbeit bescherte.
Sehen und gesehen werden ist bei Beckett eine Frage, die sich auf Sein oder Nichtsein übertragen läßt. Und der alte Mann Keaton hat das durchaus erkannt. Da er sein absurdes Dasein ablehnt, versucht er als letzten Akt der Selbstbestimmung, das Leben durch Ausschaltung aller Fremdwahrnehmung auszulöschen. Das zu verhindern ist die Rolle der Kamera: Sie ist das Auge auf Beutezug, gleichzeitig Verfolgerin des Menschen und Mittel seiner Selbstwahrnehmung. Dieses ganze Spiel mit Augen und dem oft slapstickhaften Kampf von Keaton gegen die Objektwelt ist auch eine augenzwinkernde Hommage Becketts an den surrealistischen Buñuel: Der Film spielt um 1929, ist schwarzweiß gedreht, in der damals typischen Lauflänge von 22 Minuten. Becketts „Film“ ist ein Stummfilm, der in bewußtem Anachronismus schweigend auf die Bedeutung des Schauens verweist. Alles hat Zeigecharakter. Auch wir müssen uns anstrengen und erkennen Keaton nur als Andeutung, am Hut oder seinen Bewegungen. So erzählt Beckett in Bildern und Gesten eine Geschichte der Wahrnehmung in den Anfangszeiten ihres Verschwindens. Gaby Hartel
Heute, 21.30 Uhr, Freilichtkino im Innenhof des Künstlerhauses Bethanien, Mariannenplatz 2, Kreuzberg.
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