Im Steigflug

Dasa-Chef Jürgen Schrempp wird heute zum neuen Daimler-Benz-Chef gekürt  ■ Von Nicola Liebert

Berlin (taz) – Die Entscheidung ist zwar längst gefallen, doch heute wird sie offiziell: Der Daimler- Benz-Aufsichtsrat kürt Jürgen Schrempp (49) zum Nachfolger von Edzard Reuter. Der bisherige Chef der Daimler-Tochter Deutsche Aerospace (Dasa) soll zur nächsten Hauptversammlung im Mai 1995 den Vorstandsvorsitz des größten deutschen Industrieunternehmens übernehmen. Reuter wird dann Aufsichtsratsmitglied, vielleicht sogar -vorsitzender.

Schrempp gilt als Zögling Reuters. Als solcher wird er mit einiger Sicherheit die von Reuter geschaffenen Konzernstrukturen unangetastet lassen. Unter Reuters Führung wandelte sich Daimler-Benz von einem traditionsbewußten Auto- zu einem integrierten Technologiekonzern. Der Sohn des Berliner Bürgermeisters hatte dem Auto keine großartige Zukunft mehr zugetraut und daher einen Bauchladen vermeintlich zukunftsträchtiger Sparten zusammengekauft: Luft-, Raumfahrt- sowie Rüstungstechnik (MBB, Dornier, MTU), Datentechnik, Bahn und nebenher Haushaltsgeräte (AEG samt Tochter Olympia).

Daraufhin ging es bergab mit Daimler-Benz. Das interne Betriebsergebnis kam zuletzt auf minus 5,4 Milliarden Mark. Edzard Reuter geriet unter Beschuß.

Einer, der mit den Folgen von Reuters wilder Diversifikationspolitik zu kämpfen hatte und hat, ist Jürgen Schrempp. Seit er vor fünf Jahren den Chefsessel bei Dasa erklomm, bestand seine Aufgabe darin, das Konglomerat aus MTU (Triebwerke und Motoren), Dornier (Flugzeuge, Rüstung), Telefunken (Rüstungselektronik), MBB (Airbus, Kampfflugzeuge, Elektronik, Satelliten) und später dann Fokker (Flugzeuge) zu einem Unternehmen zusammenzuschweißen.

Pech für den Macher, der seine Karriere bodenständig mit einer Mechanikerlehre bei Daimler begonnen hat, daß in seine Dasa-Zeit just die Öffnung der Mauer fiel. Vorbei war es mit den lukrativen Rüstungsgeschäften. Zur selben Zeit gerieten die Fluggesellschaften durch einen existenzbedrohenden Konkurrenzkampf so tief in die Krise, daß sie kaum noch Flugzeuge orderten.

Schrempp fiel die undankbare Aufgabe zu, die Dasa im Sinkflug zu steuern. Hier konnte er, der nicht gerade für Geduld und Zartgefühl bekannt ist, wahre Führungskraft zeigen. Als er die Schließung von fünf Dasa-Werken und die Entlassung von 16.000 Mitarbeitern für unumgänglich hielt, verkündete er die schlechten Nachrichten in einer großen Pressekonferenz, löste damit bis nach Bonn Unruhe aus und erreichte so, daß sich die Bundesregierung wieder mehr um die Rüstungsindustrie kümmert.

Bei der Dasa fegte Schrempp – nachdem er die Krise erst mit Verspätung erkannt hatte – mit dem eisernen Besen. Nach dem Fiasko mit Reuter möchte man bei Daimler-Benz nun genau so einen. Schrempp muß dort erreichen, woran sein Vorgänger Reuter gescheitert ist: Das Technologie- Konglomerat zu einem einheitlichen Konzern umzuschmieden. Sein Ziel: Daimler-Benz als globaler Verkehrskonzern. Die Weichen dahin stellt er bereits bei der Dasa. Die soll als Herstellerin von zivilen Flugzeugen Boeing Konkurrenz machen.