"Arglistige Täuschung" im Senat

■ Für heute hat Eberhard Diepgen zum ersten Mal eine Anhörung eines wegen Stasi-Vorwürfen suspendierten Stadtrats angesetzt: Peter Winkel aus Hellersdorf

Der Lehrer Peter Winkel ist am heutigen Donnerstag zur Anhörung in eigener Sache in die Kanzlei des Regierenden Bürgermeisters bestellt. Wenn er dort auch nicht persönlich mit Eberhard Diepgen sprechen wird, so ist die Tatsache immer noch bemerkenswert genug. Zum ersten Mal in dieser Stadt hat Diepgen selbst eine Anhörung mit einem aufgrund von Stasi-Vorwürfen suspendierten Stadtrat angesetzt. Bislang war es so, daß die Bezirksbürgermeister belastete Abgeordnete oder Stadträte ohne Ausnahme entlassen und entsprechende Widersprüche der Betroffenen gleich selbst abgelehnt haben. Durch den Regierenden Bürgermeister als oberster Dienstherr wurde das dann nur noch formal bestätigt.

Im Februar dieses Jahres wurde der damalige Hellersdorfer Stadtrat für Bildung und Kultur, Peter Winkel (PDS), vom Bezirksbürgermeister Bernd Mahlke (SPD) seines Amtes enthoben. Der Vorwurf: arglistige Täuschung. Peter Winkel hatte in einem Personalfragebogen die Frage, ob er jemals wissentlich für die Staatssicherheit gearbeitet habe, verneint. Eine Überprüfung bei der Gauck-Behörde ergab jedoch, daß Winkel 1966/67 vom MfS einige Monate als „Gesellschaftlicher Mitarbeiter“ geführt worden war. Er hatte, damals 26 Jahre alt, per Unterschrift bestätigt, „dem Ministerium für Staatssicherheit bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu helfen“. Mangels konkreter Ergebnisse wurde der Kontakt von der Staatssicherheit schon bald wieder aufgegeben. Winkel hatte auch bereits Freunden von dem Anwerbeversuch erzählt. In ihren Augen war er als Informeller Mitarbeiter ungeeignet.

Der promovierte Pädagoge hat diese Kontakte nie verschwiegen und auch vor seiner Wahl zum Stadtrat offen darüber berichtet. Er selbst interpretierte sie aber nicht als Zusammenarbeit mit der Stasi, sondern als einen erfolglosen Werbeversuch. An Einzelheiten konnte er sich jedoch nicht mehr erinnern, auch nicht an die Unterschrift. Von einer arglistigen Täuschung könne in seinem Fall also nicht die Rede sein, argumentierte Winkel und legte gegen seine Suspendierung Widerspruch ein.

Mehrere Monate lang blieb der Widerspruch unbeantwortet, bis jetzt vor wenigen Tagen Bewegung in die ganze Sache kam. Winkel wurde zu seiner eigenen Überraschung in die Senatskanzlei geladen. Die Hellersdorfer Bezirksverordnetenversammlung wollte ihrem entlassenen Stadtrat für diese Anhörung den Rücken stärken und stimmte am vergangenen Donnerstag mit den Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen, Bürgerliste und PDS mehrheitlich für dessen Rückkehr in sein Amt; der Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung, Horst Spitzer (SPD), wurde damit aufgefordert, sich beim Regierenden Bürgermeister für die Rehabilitierung Winkels einzusetzen. Eine solche Entscheidung eines Bezirksparlaments hatte es in Berlin bislang noch nicht gegeben.

Auf Vermutungen angesprochen, warum gerade jetzt, nach Monaten völliger Tatenlosigkeit, eine Anhörung stattfindet, halten sich sowohl Peter Winkel als auch sein Anwalt Ulrich Dost gegenüber der taz zurück. „Mein Widerspruch ist eben fundiert“, sagt Winkel lediglich, „und da ist es ein normaler Vorgang, daß eine wirkliche Einzelfallprüfung stattfindet.“ Das dies jedoch in Berlin nicht Normalität ist, weiß er ebenso wie sein Anwalt, aber verständlich ist auch, daß beide zur heutigen Anhörung nicht mit schlechten Karten gehen wollen und sich deswegen nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.

Nahe liegt in der Tat, daß aufgrund der Sachlage Peter Winkel mit dem Vorwurf der „arglistigen Täuschung“ kaum beizukommen ist. Wichtig scheint in dem Zusammenhang auch die Bemerkung Eberhard Diepgens vor vier Wochen zu sein, daß man die bisherigen strengen Regeln bei der Überprüfung auf Stasi-Tätigkeit überdenken müsse. Es kann jedoch ebensogut sein, daß der Senat vor dem Hintergrund der guten PDS-Wahlergebnisse genauer als bei anderen sein will, um sich gerade hier nicht den Vorwurf machen zu lassen, nicht rechtsstaatlich vorzugehen – und den Widerspruch am Ende doch abzuweisen. Eine andere Entscheidung dürfte den Senat auch in Schwierigkeiten bringen, widerspräche diese dann doch der bislang gültigen Praxis, bei Stasi-Kontakten jeder Art zu kündigen. Peter Winkel hat gegenüber der taz angekündigt, daß er, wird sein Widerspruch abgewiesen, durch alle weiteren Instanzen gehen wird. Jens König