Wundersame Männerlosigkeit

In Actionfilmen wird Frühgeschichte erzählt, von der Apotheose des ballistischen Mannes bis zur Welt der Maschinenengel, der Messien, der vollautomatischen Jesuiten und der Errichtung eines protestantischen Madonnenbildes  ■ Von Peter Sloterdijk

Um von Gewalt und ihrer Auflösung oder Teilung zu sprechen, kommen wir nicht umhin, einige Sätze über den Menschen als alten Läufer und alten Werfer zu sagen. Das ist zunächst nichts Neues:

Wer ins Kino geht, riskiert immer eine anthropologische Lektion, und wer Aktions-Kino liebt, ist eo ipso der Paläoanthropologie nahe, weil action, wie ich zeigen werde, den lange vermißten Schlüssel zum Affe-Mensch-Übergangsfeld liefert.

Ich gehe von der Beobachtung aus, daß die heutige Popularkultur einen Rückschritt vom Drama zur Aktion inszeniert: An die Stelle von interpersonalen Konflikten des hochkulturellen Dramentyps treten nun auf breiter Front interbestialische oder intermaschinelle action-Sequenzen, die, auf den ersten Blick, nichts mehr gemeinsam zu haben scheinen mit der menschenbildenden Dimension der europäischen und orientalischen Theater- und Erzählkulturen. Ich werde gleich zeigen, inwiefern auch solchen action-Szenen ein gewisser Bildungs-Sinn zukommt – allerdings nicht im Sinne von Humanisierung, sondern von Hominisation.

Was die akademische Historie freilich unter dem Titel Vor- und Frühgeschichte behandelt, ist in der Sache das Gegenteil dessen, was die Lehrbücher präsentieren – dem Anscheine nach das Reich der Ereignislosigkeit, worin langweilige Jäger- und Sammlerpopulationen in ihrem hunderttausendjährigen Kleinklein vor sich hinvegetieren, bis endlich Krieger, Könige und Schreiber kommen, um die Geschichte aufzumischen. In Wahrheit ist der Riesenzeitraum der sogenannten Vorgeschichte randvoll gefüllt von einem Ereignis, dessen Dramatik alle Einzeldramen überragt: von dem Ereignis der ursprünglichen Hominisation. Über eine Million Jahre hin ein einziges Riesenereignis, eine titanische Handlung, deren Gewaltsamkeit und Spannung alles in den Schatten stellt, was später vorfiel, die Entzündung des nuklearen Feuers vielleicht ausgenommen. Wer würde nicht zugeben, daß dies eine Herausforderung an die Geschichtsschreibung darstellte? Schlägt man die Bücher der Paläontologen auf, so überkommt die meisten Leser ein Unbehagen. Dieses lustlose Herumstochern der Experten in afrikanischen oder chinesischen Halbaffenknochen ist wohl nicht auf der Höhe der Sache, wenn wir erst zugegeben haben, daß die sogenannte Vorgeschichte das Atemberaubende schlechthin enthalten muß, das Ereignis der Ereignisse, die helle Katastrophe, aus der wir stammen.

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Angesichts dieser Sachlage schlage ich vor, die folgende Hypothese zu prüfen: Der moderne action-Film ist eine Gattung experimenteller Vor- und Frühgeschichtsschreibung, die mit den Mitteln avancierter Film-Technik die archäologischen Geheimnisse der Menschheit bearbeitet. Im action-Kino kommt ein Aspekt der Wahrheit über das menschheitsbildende Inaugural-Ereignis an den Tag, das man summarisch überschreiben könnte: die Sezession der Menschenhorden von der Alten Natur.

Sehen wir näher zu: Die beiden Universalien des Aktions-Kinos – Laufen und Schießen – sind in der Regel in Sequenzen verbunden, die Cineasten „Verfolgungen“ nennen. Um kaum etwas anderes geht es auch bei dem frühgeschichtlichen Großereignis, aus dem der homo sapiens hervorgeht – als Lauftier, das zu zwei Fünfteln seiner Länge aus Bein besteht und das Mensch wird, weil es Verfolgungen übersteht. Dazu war es nötig, daß der Frühmensch sich vom Flüchter zum Gegenangreifer transformierte – vor allem mittels geworfener Steine und geschwungener Äste.

Die gestische Einheit von Laufen auf der Flucht, Sichumdrehen und Werfen nach dem Angreifer ist das älteste Aktions-Muster der Menschheit – es ist eben jenes Muster, das die Hominisation vorantreibt und die Entstehung eines spezifisch menschlichen Gruppeninnenklimas ermöglicht. Durch die singuläre Verschränkung von Laufen- und Werfen-Können bildet sich um die Inhaber solcher Sonderkompetenzen ein unsichtbarer Ring, ein Abstand von aller übrigen Natur, die von nun an Menschenwesen nicht mehr dazu zwingen kann, sich über bloße Körperanpassung auf ihre Umwelt einzustellen.

Im Innern des unsichtbaren Rings werden beim Menschen die Köpfe merkwürdig groß, die Häute merkwürdig dünn, die Frauen merkwürdig schön, die Sexualität merkwürdig chronisch, die Kinder merkwürdig infantil. Die alten sapiens-Horden sind schwimmende – oder besser: fliehende – Inseln, auf denen sich die Natur das Experiment einer Luxus-Evolution mit „Welt“-Folgen gestattet. Weil Menschen als Läufer, Werfer und Schläger dem direkten Druck tierischer Konkurrenten erfolgreich ausweichen, wird aus ihnen die Gattung, die den Kopf hebt, ins Feld schaut und vor Wachheit zittert. Theoretisches Verhalten entsteht beim Menschen außerordentlich früh – gewissermaßen aus dem Wachheitsüberschuß, der dem Aufmerksamkeitstier homo sapiens die Augen freigibt für luxurierende Blicke in das stille Feld.

Von hier aus wird die dritte Universalie des Aktions-Kinos verständlich – das Warten, das Ruhigsitzen, das Bad des Helden in der Stille vor dem Angriff, die kleinen Bewegungen der Täter in der ereignisschwangeren Ereignislosigkeit.

Ich sage nun, wer dergleichen auf die Leinwand bringt, ist nicht a priori ein Brutalisator, wie die Kulturkritiker meinen, und auch nicht immer nur jemand, der auf die zuverlässig vulgären Instinkte seiner Mitmenschen spekuliert. Er ist zunächst und in der Sache ein Frühgeschichtler, der seine Sonden ins Hominisationsfeld zurückschickt, um sich und uns über den realen Inhalt der vorgeschichtlichen Menschenbildung aufzuklären. Der Aktions-Film exploriert die nie ganz zu vergessende Konfliktgrenze, an der sich entscheidet, ob Hordenwesen überleben oder nicht.

Wenn oben gesagt wurde, alle Geschichte sei die der Gewaltlösungen, so wäre jetzt hinzuzufügen: Sie ist die Geschichte des Davonkommens aus Verfolgungen und die Geschichte des Übergehenkönnens von der Flucht in den Gegenangriff. Man könnte geradezu von der Geburt des Menschen aus dem Geist des Gegenangriffs sprechen. Am Anfang war die Gegengewalt – das heißt, die Gewaltflucht, die durch Würfe Grenzen in den Raum zieht.

Das Distanztier Horden- Mensch lebt auf einer Insel von Umweltabstand, die durch das Integral von Flucht und Gegenangriff aus der Alten Natur ausgegrenzt wird. Daher läge es nahe, die alten Horden mitsamt ihren hochkulturellen Nachfolgern in Völkern und Nationen als soziale Flöße zu verstehen, die auf dem Meer der Alten Natur driften, mit der erst spät verdeutlichten Tendenz, die zeitlose Drift in historische Fahrt zu überführen.

Nun wird verständlich, warum die gesamt Paläohistorie Variationen über die Motive Werfen und Schießen bieten muß. Tatsächlich ist der Mensch, soweit er sich im Gegenangriff selbst erfunden hat, ein artilleristisches Tier – Werfer, Schütze, Distanzerzeuger mit den Mitteln des Geschosses und der geworfenen Grenzsteine. Wenn wir bedenken, daß die ersten „Grenzen“ nicht gezogen oder gesetzt, sondern geworfen wurden (um danach als Niemandsländer zwischen den Werfern leer zu bleiben), dann wird die archaische Suggestivkraft von Schußwaffen im allgemeinen und der Feuergefechte im Aktions-Kino im besonderen sehr plausibel. Der Aktions-Historismus erinnert daran, daß das Horden-Ego überall dort zu Distanz- und Abgrenzungskämpfen Anlaß findet, wo die alten Akteure auf ihren Ausflügen aufeinanderstoßen. Wer bei schweifenden Fahrten auf andere schießt, ist nicht immer nur der cool killer oder der lonely cowboy; er könnte ebensogut ein alter Jäger sein, der Horden-Außenpolitik macht – nicht in territorialen Begriffen, sondern in Vorstellungen einer so imaginären wie realen Intaktheit des Horden-Egos, das in seinen innerlich relativ befriedeten informellen Revieren durch den gewalterfüllten Weltkessel driftet.

Daher gibt uns der Rückblick auf die Hominisation in der Horde Gelegenheit, über jene Artillerie vor der Artillerie nachzudenken, die von der Menschwerdung insge-

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samt untrennbar scheint. Homo sapiens könnte mit besserem Recht homo iactans heißen. Hätte Heidegger die „Terminator“-Filme noch sehen können, so hätte er, dessen bin ich sicher, nicht länger behauptet, daß der Mensch dasjenige Seiende ist, das sich selbst zu entwerfen hat, sondern dasjenige, das schlechthin zum Werfen verdammt ist.

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Wer vom Werfen reden will, darf vom Treffen nicht schweigen. So nähern wir uns jetzt der dunklen Seite dieser Überlegungen, denn es muß von der Beziehung der Schützen und Werfer zu den getroffenen Objekten die Rede sein, wobei ich die Erwägung vorausschicke, es könne sich hierbei um den Prototypus dessen handeln, was man neuzeitlich eine Subjekt- Objekt-Beziehung nennt. Mit der Frage nach dem Treffen ist das Terminator-Motiv zum ersten Mal angerührt, denn die Treffer, von denen die älteste Jägerfolklore ebenso wie die neueste Killer-Automaten-Phantasie lebt, sind eben die terminalen, die terminierenden, die Voll-Treffer, die Schlußpunkte hinter das autonome Dasein des Objekts setzen.

Die Objektbeziehungen des Schützen sind von einer Art, die man als glücklichen Sadismus charakterisieren könnte. Auf ein Objekt schießen heißt nicht nur, es aus dem Weg schaffen oder von den Füßen bringen wollen: Ein „wahrer“ Schuß erkennt im Anderen ein Etwas, das sich dort aufhält, wo besser ein Nichts wäre, und ist daher, wenn er zum Volltreffer führt, die „Herstellung“ dieses genauen Nichts an der Stelle des falschen bisherigen Etwas. In solcher Sicht wäre jeder Art von Artillerie ein latentes Terminator-Motiv inhärent. Wo immer im Ernst geschossen wird, wird das Nichts eingeladen, mit dem bisherigen Etwas Platz zu tauschen. Der Kult des Treffers, der durch alle action- Filme geht, ist eine immerwährende Auslöschungszeremonie, die das ursprüngliche Vernichtungswunder der Horden-Menschheit nachfeiert, als wäre es etwas, worauf auch der heutige sapiens- iactans nicht verzichten kann.

Wenn ich den Ausdruck „Vernichtungswunder“ gebraucht habe, ohne von der Formulierung sofort moralisch abzurücken, dann geschah das nicht in der Absicht, eine schwarze Messe theoretisch vorzubereiten, sondern um ein paläoanthropologisches Theorem über die primären Machterfahrungen unserer Horden-Menschheitsgeschwister plausibel zu machen. Denn in der Ich-Bildungsgeschichte der Gattung sind Vernichtungen älter als Schöpfungen, und das Auslöschen ist grundlegender als das Erfinden. Terminieren geht über Inaugurieren – wieso? Die Antwort ergibt sich aus den Grundgegebenheiten der Hordenwirklichkeit.

Die Gruppe driftet – umgeben von der unsichtbaren Eihaut ihrer Naturdistanz – auf dem alten Naturmeer dahin, ein Floß in einem gefahrenträchtigen Weltbottich. Der mag wohl im Durchschnitt laue Temperaturen bieten und die Flößer, solange es wenige sind, ernähren: Er umschließt sie aber wie für immer mit seiner undurchdringlichen Gewalt- und Machthülle, die den Menschen in eine ambivalent-urpassivische, zugleich geborgene und gepreßte Stellung bringt. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, was ursprüngliches Werfen und Treffen bedeuten konnte: den Anfang nämlich einer unendlich langsamen und mühevollen Gegenmachtergreifung, an deren Ende auch so treffende Sätze wie der cartesianische vom Menschen als maître et possesseur de la nature möglich wurden. Mit den ersten Treffern kommen Menschen in die Zone eines neuartigen Rausches, sie springen auf und werden von revolutionären Hochgefühlen geschüttelt. Ja, man kann sagen, Ich-Orgasmen rufen das Subjekt hervor. Das Treffen setzt einen euphorischen Ich-bildenden Sadismus ins Werk, der wahrscheinlich den roten Faden der psycho-evolutionären Prozesse überhaupt darstellt. Es handelt sich um einen Sadismus, der das Ich aufgehen läßt – in dem Maß, wie es sich in der artilleristischen Macht erfährt, ein Objekt untergehen zu lassen. Hier zuerst bricht der Mensch durch in die technisch- magische Zone. Ihrer Natur nach konnte diese zunächst keine andere als eine vernichtungs-magische sein; die Verwandlungs- und Herstellungsmagien werden dem Pfad folgen, den die Verneinungs- Magien mit Wurf und Schuß tele- kausal ausgetreten haben.

Denen, die Mühe haben, sich diese Zusammenhänge bildlich vorzustellen, kann unter Hinweis auf ein aktuelles Phänomen in der Subkultur des Sports geholfen werden. Man frage sich nur, in welchem Kontext wir zu Zeugen der heftigsten Lustäußerungen werden, die von menschlichen Wesen zu vernehmen sind. Die Gipfelpantomime unserer Pornoköniginnen sind flache Komödien im Vergleich mit den Torschützenorgasmen, die im Zentrum aller Berichterstattungen über große Fußball- Turniere stehen. Es genügt, die Gesten der Helden auf dem Rasen nach erfolgreichen Torschüssen ernsthaft anzuschauen, um zu begreifen, daß hier Wildformen ekstatischer Genugtuungen durchbrechen, für die es im gesamten Spektrum zivilisatorischer Gesten kaum ein Äquivalent gibt.

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Es handelt sich, wollte man nur richtig zusehen, oft um Ausbrüche von einer geradezu sakralen Obszönität, und dies nicht nur bei südländischen Männern, die nach geglücktem Schuß gelegentlich auf dem Rasen zusammenbrechen, sich bekreuzigen und wimmern, um mit verdrehten Augen irgendeiner höheren Gewalt für die artilleristischen Gnaden zu danken. Das sind die Samstagsgebete der modernen Menschheit, die mitgeheult werden von Millionen von Zuschauern vor den Bildschirmen und in den Stadien. Es sind Spontangebete der aufbewahrten Frühgeschichte, neben denen die monotheistischen Sonntagsrituale gekünstelt wirken.

Ich bin davon überzeugt, daß diese maskulinen Schützen-Orgasmen und Treffer-Kulte Nachbildungen des primärsadistischen Jubels sind, mit dem die ersten Jäger und Werfer ihre anfänglichen, wie auch immer prekären Siege über die alte Natur zelebrierten. Die Geschichte des menschlichen Könnens folgt in ihrem Erfolgskern dieser sadistischen Achse, auf der das Subjekt im Triumph über das getroffene und vernichtete Objekt zu sich kommt. Die ominöse Grausamkeit von Kindern ist manchmal noch von dieser Art. Macht, die sich selber will, strebt von Grund auf diesem Attraktionspol zu. Sie fiebert nach dem Hochgefühl, gegenüber einer an allen anderen Fronten übergewaltigen Natur endlich auch einige Siege erringen zu können. Sie tut erste Schritte zu einem Ausbruch aus dem Naturkessel – ballistische Vorspiele zu der metaphysischen Idee der Weltüberwindung.

Daher ist es motivisch völlig richtig, daß im modernen Aktionsfilm auf seinem vorläufigen Höhepunkt, dem zweiten „Terminator“, der Killerautomat als Alliierter des kleinen Messias auftritt – ebenso wie es richtig ist, daß die Löcher, die er mit schweren Handfeuerwaffen seinem Gegenspieler in Kopf und Bauch schießt, nun endlich als explizite Löcher gezeigt werden können, dank computergenerierter Bilder. Endlich sieht jeder ohne weitere Vermittlung, worauf es beim Terminieren ankommt: ein Loch dort entstehen zu lassen, wo zuvor etwas Volles, Widersacherisches, Falsches war – „ohne Erledigung von Störung kein Überleben“ (alte Höhlenweisheit).

Was aber, wenn die Welt im ganzen als Störung auffällt? Wie, wenn die Erde zur Zielscheibe einer letzten umfassenden Beschießung wird? Einfache Helden in Aktion orientieren sich, wie wir wissen, an der gesunden Idee vom vernichtenden Treffer. Terminatoren im letzten Gefecht hingegen orientieren sich an dem heilbringenden Auftrag, die globalen Vernichter zu vernichten. Globalvernichtung meint die Phantasie, daß die gesamte Menschheit in einem nuklearen Kessel gegart werden wird.

Was das neue Terminator-Syndrom vom gewöhnlichen Artillerie-Nihilismus unterscheidet, ist der metaphysische Zusatz, daß ein paar richtige Treffer für die Rettung der Menschheit sorgen können. Wer mit Erfolg auf diejenigen schießt, die drohen, auf alles zu schießen, wird zum Erlöser mit der Schußwaffe als Heilszeichen. Wie konnte es dahin kommen, daß der Text der Evangelien mit dem der brutalsten Gewaltliteratur in eins zusammengezogen wurde? Es ist, fürchte ich, höchste Zeit, Arnold und James zu fragen, wie sie es mit der Religion halten.

James Camerons „Terminator“-Filme von 1991 und 1984 reihen sich, wie man sieht, in eine Ideen-, Typen- und Klischee-Geschichte ein, die eine konstante Prä-Historie vergegenwärtigt. Sie greifen Imagines viriler Vollmacht auf und setzen sie zu einem Schlußbild zusammen: Man möchte meinen, wir sehen hier die Endform des Schützen, die Apotheose des ballistischen Mannes.

Es wäre damit über den Schützen-Archetypus schon alles Wesentliche gesagt, hätten nicht James und Arnold eine Botschaft inszeniert, deren Entzifferung uns ins Kernland eines religiösen Systems versetzt. Denn „Terminator II“ zeigt nicht nur die definitiven Schützen, nicht nur gunmen der Sonderklasse, Männer wie Projektile, nein, Arnold, der edle Cyborg, hat eine Mission im Dienste der ganzen Menschheit zu erfüllen. Ein Mann auf Mission, man sieht es leicht, ist nicht nur ein Absender von Projektilen, sondern auch ein Gesandter, der ein Projekt von drüben in dieser Welt zu Ende führt. Das ist nicht nur ein Schießender, sondern auch ein Geschossener – einer, der sich unter Blitz und Donner auf amerikanischem Pflaster in der Nähe des Mülls materialisiert. Man begreift sofort, warum Filmkritiker vor einem solchen Phänomen hilflos stehen – man müßte Missionstheologe sein, um den Rang und das Genus dieses seltsamen Maschinenengels richtig zu bestimmen.

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Ich lasse einige aktions-analytische Bemerkungen aus der Sicht laikaler Missionskritik folgen. Erstens fällt auf, daß Arnold-Terminator, wenn er wirklich noch eine Figur im Katalog der heroischen Virilität sein sollte, die nicht-phallische Natur solchen Heldentums deutlicher enthüllt als je ein Rambo oder ein Batman vor ihm. Die Verschiebung vom Mann zur androiden Maschine macht den phallischen Charakter der fleischüberzogenen Blechplastik vollends klar: An einem solchen Mann ist nichts, was nicht auch an einer Sprinklerautomatik wäre. Seine Feuerkraft gehört – psychoanalytisch gesprochen – nicht zur phallischen, sondern zur analen Stufe, seine Waffen sind keine Phallus-Symbole, sondern nach vorn versetzte anale Projektoren, die den Gegner herrichten für die Deponie.

Wohl finden alle Duelle wirklich unter Männern statt, aber unter Männern in men's rooms, Männern, die zur Apokalypse auf der Toilette blasen, Männern, die sich mittels analtechnischer Heißluft- Geräte gegenseitig aus der Welt furzen. Wenn die kids bei den großen Knallereien auf der Leinwand jubeln, egal, ob diese sich in einem alten Stahlwerk abspielen oder in intergalaktischen Räumen, so setzen sie sich einer bedenklichen Verführung aus. Sie überzeugen sich davon, daß Helden von männlichem Äußeren vor analen Duellen keine Scheu haben müssen. Ein Zeitalter der Tele-Fäkalien kündigt sich an.

Tatsächlich ist es das Ziel solcher Akteure nicht mehr, in einem als männlich qualifizierbaren Stil zu kämpfen und zu siegen, sie wollen die Objekte nur noch fäkalisieren und über Kot und Schutt hinwegschreiten. Und so geschieht es, in wunderbarer Apathie und perfekter Haltung. Der Kämpfer im Trubel bleibt kühl wie ein Juwelenhändler, empfindungslos wie ein steinerner Apoll, straff, wortkarg, effizient – der Schließmuskelmann in Vollendung. Noch gleicht sein

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Äußeres dem historischen Mann, sein Konstruktionsprogramm aber hat die Ebene der Überlegenheit über die menschliche Kondition erreicht: Nie wieder Mensch heißt die Maxime seines Handelns. Wäre der Cyborg noch von psychologischen Charakterisierungen zu betreffen, so müßte man ihn als einen präödipal fixierten Typus darstellen. Bei ihm, so würde das Gutachten sagen, dominiert ein analer Dualismus, der im Objektbezug nur die Alternative Gottheit und Scheiße kennt – dies alles, wie üblich, aufsitzend auf einem malignen narzißtischen Syndrom.

Hieran schließt eine zweite Bemerkung an: Eben weil der Männer-Typus, der im Aktions-Film à la Arnold und James verhandelt wird, aus präödipalem Stoff gemacht ist, kann er ohne eine Hintergrundfigur, die ihn nach vorne schickt, nicht sein. Daher ist der Terminator der psychologische Vasall eines Herrn und Senders, der ihm eine Mission einprogrammiert hat wie einem vollautomatischen Jesuiten.

Arnold rückt vor als die Synthese aus Achilles und Jesus: Vom ersten hat er die Montur, vom letzten das Tempo. Denn es gehört seit der Zeitenwende zum Stil weltrettender Aktionen, daß sie ohne Zögern und in Höchstgeschwindigkeit vollzogen werden müssen, der Evangelist Markus schreibt: euthys, auf der Stelle, sofort, unverzüglich, stracks (Zum Motiv der Eile bei Jesus vgl.: Hans Conrad Zander, Ecce Jesus. Ein Anschlag gegen den neuen religiösen Kitsch. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1992, S. 27-62), von jedem Punkt Galiläas aus in Luftlinie zum himmlischen Ziel.

Deswegen ist „Terminator II“ auch eine mediengeschichtliche Landmarke, nicht weil das Medium Film darin einige technisch avancierte Register zieht, sondern weil das Medium Gottes, der Gesandte, der Mann in Mission, hier in einem neuen Aggregatzustand erscheint – eine angelische Maschine, einem Erzengel gleich, der vom Schwert auf zeitgemäßere Waffensysteme umgerüstet hat. Arnold ist der moderne Christophorus, der den Menschheitsretter durch die Welt wie durch ein Schlachtfeld hindurchträgt.

Ein drittes kurzes Wort über die Senderin hinter dem Sender. Wer „Terminator II“ gesehen hat, mag sich über alles mögliche im Unklaren sein – zum Beispiel über die Frage, ob die Handlungslogik wirklich nur irrwitzig oder nicht doch folgerichtig ist. Über eines jedoch kann es kaum einen Zweifel geben: Der Film bietet eine Momentaufnahme von Zuständen in der matriarchalischen Traumfabrik der Vereinigten Staaten von Amerika. Er ist ein Dokument der mutterreligiösen Agitation, die nicht erst seit heute, sondern – mehr oder weniger unbemerkt – seit 1967 die westliche Hemisphäre überschwemmt.

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Der Film tut also etwas sehr Zeitgemäßes – wofür auf einer anderen Bühne Madonna Megastar ihre eigene Formel gefunden hat: Er widmet sich der Kreation eines protestantischen Madonnen-Bildes. Der eigentliche Held der Geschichte ist natürlich, man ahnt es längst, weder Arnold-Terminator, der Edelkämpfer, noch der niedliche John Connor, der designierte Weltretter und Widerständler gegen die Maschinen. In struktureller Sicht ist die Heldin der Erzählkonstruktion die Mutter Johns. Sie ist es, die der atomkriegsbedrohten Welt das Heil in Sohnes-Gestalt geschenkt hat. Was James Cameron gemeinsam mit Linda Hamilton kreieren mußte, war nicht weniger als das Design einer Muttergottes, die Simone de Beauvoir und Kate Millet gelesen hat.

Dies gelang den Urhebern dieses wahrhaft evangelischen Projekts, indem sie die katholische Imago der milch- und huldreichen Himmelsmutter zeitgenössisch travestierten. Sie verkleinerten ihre Brust, ersetzten das brennende Herz durch eine Schieß-Ausbildung, übersetzten das Dolorosa- Motiv in Psychiatrisierung und strichen den Joseph aus der Szene. Selbst ein verzichtender Mann an der Seite der neuen Muttergottes hätte die kühle Linie amazonischer Perfektion gestört. Und so tut sich im Personal des zweiten Terminator-Films eine Welt wundersamer Männerlosigkeit auf – im Zentrum belebt von einer amazonischen Matrone mit ihrem vaterlosen Knaben, in der Peripherie bevölkert von Cyborgs und abknallbaren männlichen Statisten.

Das Zentrum des Zentrums bleibt der protestantisch aufgeladene Mutterschoß, der sich als Herd der Sendung und des Gesandten zugleich behauptet. Während beim Jesus der kanonischen Evangelien noch eine Arbeitsteilung vorlag, wonach das körperliche Sein von der Mutter, der Sinn vom überweltlichen Vater stammte, ist in der Apokalypse nach Cameron alles in die Mutter verlegt: Sein und Sinn haben ihren Schnittpunkt im Uterus der amerikanischen Neuen Frau. Sie überkreuzen und begegnen sich dort nicht nur, sondern sie entstehen in ihm ursprünglich und strahlen von ihm aus wie Götterfunken aus dem Pleroma. In diesem Feminismus haben sich Bauch und Geist zusammengetan, um zu verkünden, daß Nuklearismus das letzte Wort der Männerwelt bedeutet, während die autonome Weiblichkeit Erlösung durch alt-neue Bio-Religion bringt. Daher ist „Terminator II“ zu lesen als symptomatische Nachricht über Prozesse im Imaginären des perfektesten Matriarchats der Welt, der Vereinigten Futter-und-Mutter-Staaten von Amerika.

Ich verzichte darauf, diese Beobachtungen mit der Person Arnolds zu verknüpfen, und sage nichts weiter über seinen Kult um Aurelia Schwarzenegger, die Heldenmutter, die die Sendung des größten lebenden Österreichers von wer weiß woher leitet. Man ahnt immerhin, die Überschwemmung des Westens mit Bildern und Zeichen könnte ein Element des kapitalistischen Matriarchats sein, das alle konsumieren heißt, damit sie von der Herrlichkeit der „Großen-Mutter-Firma“ Meldung machen. Vielleicht schlägt in der Welle des Gewaltbilderkonsums ein Aspekt der Wahrheit über die oralen Imperien der Modernität hindurch, die Ernest Gellner treffend die „glaubenlose Konsumenten-Internationale“ genannt hat.

Eine vierte Bemerkung, als letzte, soll dem modernisierten Cyborg gelten, dem in diesem Film der Tötungsauftrag zufällt. Er ist die Figur, die in die Cameronsche Kino-Wagner-Oper als einzige die neue, unheimliche, nahezu transzendente Dimension einführt. Ein morphoplastisches System aus intelligentem Flüssigstahl liegt diesem tödlichen Akteur zugrunde – eine Vision aus dem neuen Jenseits von Geist und Materie.

Mit Blick auf diese Gestalt läßt sich sagen, daß, wer den zweiten „Terminator“ kennt, das Glitzern im Auge des zeitgenössischen Zyklons gesehen hat. Schon jetzt ist Arnold nur noch historisch interessant, ein Kuriosum aus der Zeit der stoischen Rabauken. Die Zukunft, daran ist kein Zweifel, gehört seinem verwandlungsfähigen Gegenspieler.

Eine ganze Filmhandlung lang blieb Arnold stur er selbst, mehr oder weniger demoliert, eine alteuropäische Maschine als Variante der aristotelischen Substanz, die neuzeitlich als fundierendes Subjekt wiederholt werden sollte. Ganz anders der smarte Gegenspieler, der wie ein Lehrsatz über den Vorrang der Funktion vor der Struktur über die Leinwand spukt. Längst kann er alles werden, was er sieht; ausgestattet mit einem autopoietischen Formprogramm, reorganisiert er sich aus jeder Zertrümmerung. Was ihn zu einer Erscheinung macht, ist seine Fähigkeit, sich mit allem zu vereinigen, was er vernichten will. Er ist selbstreflexiv wie ein hegelianischer Automat und selbstlos wie ein Buddha. In ihm ist Posthumanität vollendete Tatsache. Er ist die erste Maschine, die eine Mystikerin sein könnte. Um sie zu deprogrammieren, mußte man die Elemente selbst bemühen: Im letzten Moment erst löst sich der unzerstörbare Zerstörer im glühenden Kessel einer Stahlkocherei auf, dem einzigen Ort, wo die Umwandlung des substantiellen Subjekts in das subjektlose Element noch gelingen kann. Was nicht mehr erschossen werden kann, kann nur noch eingeschmolzen werden.

Man meint physisch konkret zu sehen, wie über zweieinhalbtausend Jahre hinweg der Tod des Terminators den des Empedokles widerspiegelt. Im Blick des Eisenmannes im glühenden Kessel verrät sich keine Spur von Wahnsinn mehr, er fährt in den „Tod“ wie in eine Garage.

Die Einschmelzung der Maschine Mensch läßt die letzte Gewaltlösung erahnen. Wer spürte nicht, daß künftige Wege der Auslöschung einer Trasse folgen könnten, die in den Schicksalen dieser Gewalt-Sendboten angelegt sind?

Gekürzte Fassung von Peter Sloterdijks „Sendboten der Gewalt. Zur Metaphysik des Aktions-Kinos“, erschienen in Peter Sloterdijk. Medien-Zeit – Drei gegenwartsdiagnostische Versuche. Hrsg. von Heinrich Klotz. Schriftenreihe der staatlichen Hochschule Karlsruhe (Band 1), 1993, 108 Seiten, Broschur, 19,80 Mark