Aber wo sind die Hilfesuchenden bloß?

Mit einem französischen Militärkonvoi unterwegs in Ruanda, um Menschen zu finden, die man retten kann / Bonbons für die Kinder, Motive für die Fotografen  ■ Aus Gisenyi Bettina Gaus

Hunderte junger Männer trainieren im Schweiße ihres Angesichts. Mit selbstgebastelten Schießeisen aus Holz und Metall rennen sie einige Kilometer außerhalb der südwestruandischen Stadt Gisenyi die Straße entlang, kämpferische Lieder singend: „Auch ihr, auch ihr könnt das Land verteidigen!“ Etwa dreißig ausländische Journalisten, die einen französischen Militärkonvoi begleiten, sind begeistert – das Material gibt für Fotografen und Kameraleute einiges her.

„Das ist hier die zivile Verteidigung“, erklärt einer der jungen Männer, der sich als Sergeant Jean-Claude Izabayo vorstellt. Die Regierungsmilizionäre lassen sich bereitwillig befragen, winken den Franzosen freundlich zu. „Liebes Frankreich: Danke für die Rettung Ruandas!“ steht auf einem Plakat am Straßenrand zu lesen. Während französische Offiziere ausländischen Journalisten gegenüber immer wieder betonen, ihr Auftrag sei rein humanitärer Natur und sie seien nicht gekommen, um sich in den Bürgerkrieg in Ruanda einzumischen, erwarten ruandische Soldaten und Milizen von den ausländischen Truppen die Rettung vor dem Feind. Wer ist der Feind? „Alle Tutsi haben den Auftrag, unser Land anzugreifen“, meint Jean-Claude Izabayo.

Hutu-Flüchtlinge

Angehörige dieser ethnischen Minderheit sind hier in der Gegend nirgendwo mehr zu sehen – sie sind entweder tot oder geflohen. Da die früher jahrhundertelang in Ruanda herrschenden Tutsi jetzt das Rückgrat der militärisch erfolgreichen Rebellenbewegung RPF (Patriotische Front Ruandas) bilden, wurden selbst Kinder als angebliche Sympathisanten der Guerilla massakriert.

Zum Schutz der wenigen Tutsi, die sich in Flüchtlingslager retten konnten, und anderer bedrohter Gruppen der Zivilbevölkerung sind die französischen Militärs vom Weltsicherheitsrat nach Ruanda geschickt worden. Aber wo sind die Hilfesuchenden bloß?

Stunden um Stunden suchen ausländische Soldaten gemeinsam mit Journalisten nach Flüchtlingen. In dem nördlich von Gisenyi gelegenen Ort Mutura soll es ein Lager geben – eine nicht ganz zutreffende Information. Es sind nur etwa 50 Männer, Frauen und Kinder aufzutreiben, die der Krieg aus ihrem jetzt von der RPF eroberten Heimatgebiet vertrieben hat. Sie alle gehören zur Bevölkerungsmehrheit der Hutu und bedürfen keines militärischen Schutzes. Vor der Weiterfahrt verteilen französische Soldaten noch ein paar Süßigkeiten an Kinder einer nahe gelegenen Schule. Hunderte von Kinderhänden strecken sich den Spendern entgegen: Kameras surren, Fotoapparate klicken.

Weiter geht die Fahrt in Richtung Norden. Im Ort Kora wird der Konvoi fündig. Hier hausen ein paar hundert Flüchtlinge unter armseligsten Bedingungen. Mehrere Familien teilen sich den Raum in einer alten Scheune, voneinander abgetrennt nur durch einige Bahnen Stoff. Andere haben aus Planen notdürftig Zelte gebastelt.

Aber auch diese Flüchtlinge sind Hutu, deren Sicherheit nicht gefährdet ist. Nach einigen Minuten wenden die Militärfahrzeuge zur Rückfahrt. Es wird spät. Die Grenze nach Zaire, wo die Truppen stationiert sind, soll vor dem Abend überquert werden. Das Tagewerk ist vollbracht.

Evakuieren – ja, später

„Etwa 250.000 Flüchtlinge leben hier in der Region“, erklärt Jean Wenker vom Internationalen Roten Kreuz. Die Organisation hat die Lage während der letzten vier Wochen erkundet und beginnt jetzt mit der Verteilung von Lebensmitteln an die Notleidenden. „Nein, die Franzosen haben uns nicht gefragt, wo sich in der Gegend Flüchtlingscamps befinden“, sagt Wenker.

Französische Truppen haben mittlereile 43 Nonnen aus Kibuye, südwestlich von Gisenyi, evakuiert. Der Ort hat traurige Berühmtheit erlangt: Im Stadion und in der Kirche wurden Tausende von Tutsi systematisch ermordert. Auch die Schwestern wurden von Milizen jeden Tag mit dem Tod bedroht. Allen Campbell, Mitarbeiter einer US-Hilfsorganisation, hatte sich vergeblich um eine Genehmigung der ruandischen Regierung bemüht, die Nonnen zu evakuieren, und diese selbst in Kibuye besucht. „Sie haben überlebt, weil eine Hutu-Schwester und Hutu-Dorfbewohner bei den Milizen immer wieder um ihr Leben gebettelt haben. Aber sie wurden jede Nacht an der Wand aufgestellt, und die Milizionäre haben ihnen gesagt: Jetzt sterbt ihr.“ –

„Ich habe den Franzosen gesagt, wo sie die Schwestern finden“, sagt Campbell, ein Pilot. „Aber es sind nicht die einzigen. Nördlich von Butare, einen Kilometer von der Front entfernt, sind 32 weitere Nonnen eingeschlossen, etwa zur Hälfte Tutsi, außerdem eine Belgierin und eine Amerikanerin. Die Franzosen haben mich gebeten, mit der RPF zu verhandeln, damit sie bei einer Evakuierung nicht abgeschossen werden. Und dann haben sie mich schockiert. Sie haben gesagt: Wir haben keinen Plan, sofort zu evakuieren, vielleicht in zwei oder drei Wochen. Bis dahin sind diese Nonnen tot.“