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Prager Rassismus

■ In Tschechien werden morgen Tausende Roma zu Ausländern

Prag (taz) – Sozialämter der Tschechischen Republik (ČR) haben um Polizeischutz gebeten. Sie befürchten, daß sich vor ihren Toren ab morgen all diejenigen Roma versammeln, die weiterhin auf eine Hilfe hoffen, die ihnen ab dem 1. Juli nicht mehr zusteht. Denn nach der derzeitigen Rechtslage werden alle in der ČR lebenden Roma zu Ausländern, die bis zum 30. Juni noch keine Staatsbürgerschaft beantragt haben. Nach Angaben des Chefredakteurs der Roma Kurka trifft dies auf etwa 75.000 der insgesamt 300.000 Roma zu.

„Für die Roma wird sich nichts ändern“, meint dagegen die Pressesprecherin des tschechischen Innenministeriums, Beata Berniková, lakonisch, „nur Sozialhilfe wird eingespart.“ Was mit der ungeliebten Volksgruppe nach dem 1. Juli passiert, darüber schweigt sich Berniková aus. Entsprechende Fragen der taz beantwortete sie nicht.

Scharfe Kritik an dem bestehenden Gesetz übt die Helsinki Citizens' Assembly (HCA) in Prag. „Viele Roma sind Analphabeten und haben deshalb grundsätzliche Probleme, überhaupt Ämter zu besuchen“, sagt HCA-Vertreter Václav Trojan. Der HCA hat eine Petition an Präsident Vaćlav Havel und Premier Klaus geschickt: Das Gesetz des tschechischen Nationalrates sei ein Verstoß gegen die Genfer Konventionen. Viele Roma, deren Vorfahren bereits vor Jahrzehnten in die heutige ČR kamen, haben keine Papiere. Dieser Umstand soll nun genutzt werden, um sie zu Ausländern zu erklären.

Kritisiert wird aber vor allem, daß die Roma bei Beantragung der Staatsbürgerschaft nachweisen müssen, fünf Jahre nicht straffällig geworden zu sein. Rund 21.000 Roma konnten deshalb keine Staatsbürgerschaft beantragen. Vaćlav Trojan glaubt, daß die Prager Regierung sich mit der Staatsbürgerschaftsregelung eine Möglichkeit zur Abschiebung von Roma schaffen wollte.

Allein im nordmährischen Ostrava leben etwa 10.000 Roma ohne gültige Staatsbürgerschaft, obwohl dort nach Aussage der Ämter die meisten Anträge gestellt werden. Noch schlechter ist die Situation in Nordböhmen: Die ansässigen Roma sind in den fünfziger Jahren aus der Slowakei gekommen, um die vertriebenen deutschen Arbeitskräfte zu ersetzen. Sie wurden in den betriebseigenen Wohnsilos der Mammutkombinate untergebracht. Da diese Ghettos inzwischen nicht mehr zu den Kombinaten gehören, verlieren die Roma ihre Unterkunft. Inzwischen leben nicht nur in der Elbestadt Ustí mehrere Familien gemeinsam in Zwei- oder Dreizimmerwohnungen. Ein „perfekter“ Kreislauf: Wer keine Wohnung und keine Arbeit hat, bekommt keine Aufenthaltsgenehmigung; wer diese nicht besitzt, bekommt keine Wohnung und keine Arbeit.

„Die Kriminalität steigt“, sagt Vaćlav Trojan, „und auch der Rassismus.“ Ohnehin möchte niemand Roma beschäftigen. Die Arbeitslosigkeit dieser Bevölkerungsgruppe liegt bei über 90 Prozent. So keimt in der Gesellschaft die geheime Hoffnung, daß viele Roma bald in die Slowakei zurückkehren. Nach einer Meinungsumfrage der HCA möchten 70 Prozent der TschechInnen keine ImmigrantInnen als Nachbarn, fast 80 Prozent meinen, daß „Ausländer aus bestimmten Ländern eine große Gefahr darstellen“.

Die Reaktionen verwundern nicht. Auch die Medien feilen an dem Feindbild. Das regierungsfreundliche Blatt Česky deník kann es sich beispielsweise leisten, über die Situation der tschechischen Roma während des Zweiten Weltkrieges zu schreiben, ohne zu erwähnen, daß 90 Prozent von ihnen dem nationalsozialistischen Völkermord zum Opfer fielen. „Jahrelang“, so Igor Němec, Vorsitzender des Rates für Nationalitäten in einem Zeitungsinterview, „habe sich der allgegenwärtige Staat um sämtliche Probleme der Roma gekümmert.“ Damit müsse nun Schluß sein. Tomas Niederberghaus

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